Wolfsmagie (German Edition)
bisschen schwer zu übersehen?«
»Das sollte man meinen«, antwortete Edward, ohne zu zögern. »Was mich umso mehr an einen Menschen und nicht an ein Monster glauben lässt.«
»Weil?«
»Monster bleiben in der Nähe ihres Unterschlupfs. Je nach Mythos können manche gar nicht weggehen. Dass der Killer dazu in der Lage ist, spricht sehr dafür, dass es sich um einen Menschen handelt.«
»Vielleicht konnten Ihre Agenten ihn nur nicht finden.«
Er quittierte diese Bemerkung mit einem überheblichen Blick, der wohl besagen sollte: Wenn ein Jägersucher ausgesandt wurde und der kein Monster fand, dann war da keines zu finden.
»Bei jedem dieser Vorfälle«, fuhr er fort, »stießen wir auf Hinweise, die uns zu der Überzeugung führten, dass jemand das Übernatürliche nur imitierte, ohne selbst ein paranormales Wesen zu sein.«
»Zum Beispiel?«, fragte Kris fasziniert. Sie liebte es, eine Legende Stück für Stück auseinanderzunehmen, die Wahrheit aufzudecken und den Betrug nachzuweisen.
»Die Originallegende vom Ikuutayuuq handelt von zwei Brüdern, die gemeinsam jagen, alles hetzen, was sich in ihr Territorium verirrt, und es töten. In den gemeldeten Fällen wurde nur ein Paar Fußspuren gefunden, außerdem waren die Opfer an Händen und Füßen gefesselt, was auf einen Einzeltäter hindeutet.«
»Vielleicht hat dieser Ikuutayuuq keinen Bruder.«
»Ließen sich derlei Abweichungen nur an einem Tatort feststellen, würde ich Ihnen womöglich zustimmen. Doch wie bereits gesagt, gibt es in jedem der Fälle Widersprüchlichkeiten. Auf Kreta zum Beispiel wiesen die Hufspuren des Esels exakt die Größe von Eselshufen auf. Sie hatten nicht annähernd die Ausmaße, wie sie ein berggroßer Esel hinterlassen müsste. In Australien war es das Gleiche. Die Fußabdrücke des Riesen …« Er schnippte mit seinen Hühnerknochenfingern.
»Waren nicht riesig«, führte Kris den Satz zu Ende. »Ihrer Ansicht nach haben wir es also mit einem vagabundierenden Serienmörder zu tun, der sich für seinen jeweiligen Modus Operandi an regionalen Legenden über mythische Wesen orientiert.«
Der alte Mann nickte geistesabwesend. »Anfangs zog ich die Möglichkeit eines sehr mächtigen Gestaltwandlers in Betracht, der die Fähigkeit besitzt, sich in jede beliebige dieser Legendengestalten zu verwandeln. Doch ich kam zu dem Schluss, dass das zu weit hergeholt wäre.«
»Mann, da bin ich echt erleichtert«, spottete Kris. Die Vorstellung, wie ein megamächtiger Gestaltwandler von einem Land zum nächsten Land zog und dabei eine blutige Spur toter und verstümmelter Körper hinter sich zurückließ, bevor er sich dazu entschlossen hatte, sich in Drumnadrochit häuslich niederzulassen, machte sie mehr als nervös.
»Diese Monster sind in der Historie ihrer Kultur verwurzelt«, fügte er hinzu. »Es kommt sehr selten vor, dass ein Gestaltwandler die Macht besitzt, die Gestalt eines Wesens anzunehmen, mit dem er nicht die Abstammung teilt. Nur ein Schotte könnte zu einem Kelpie werden. Nur ein Cherokee zu einem Rabenspötter. Nur ein Norweger zu einem Berserker. Wenngleich …« Er legte die Stirn in nachdenkliche Falten. »In Amerika haben wir diesen verflixten Schmelztiegel.«
»Folglich könnte man zu jedem dieser Gestaltwandler werden, wenn man einen Vorfahren aus dem Land der jeweiligen Legendengestalt aufweisen kann.«
»Theoretisch ja«, bestätigte Mandenauer. »Aber wie dem auch sei, Ihnen bleibt jetzt nur eins zu tun: Sie müssen den Täter finden und ihn töten.«
»Ich bin nicht besonders gut im Töten.«
»Das denkt jeder, bis er vor die Wahl gestellt wird, zu sterben oder den Abzug zu drücken.« Er ordnete seinen Papierstapel. »Ich werde Ihnen ein Verzeichnis der Todesfälle, der zugehörigen Legenden und Tatorte mailen.«
»Die drei kann ich mir merken.«
»Das waren lediglich von mir ausgesuchte Beispiele. Die Liste ist wesentlich länger. Island, Afrika, Brasilien.« Er vollführte mit einer Hand eine Und-so-weiter-Geste. »Wir durchsuchen noch immer unsere Datenbanken und sprechen mit Agenten über ungeklärte Fälle. Ich werde zweifellos jeden Tag Aktualisierungen bekommen.«
Die Vorstellung, dass der Mörder in ihrer Mitte so viele Male getötet hatte, dass sie einen Katalog brauchten und tagtäglich neue Fälle auftauchen könnten, löste bei Kris eine Angst aus, wie sie sie nie zuvor gekannt hatte. Und das aus gutem Grund. Sie war eine Journalistin, die in Gewässern fischte, in denen sie nichts zu
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