Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
Vom Netzwerk:
helfen.«
»Ja?« Das Wort war fast bis zum Zerreißen gedehnt.
»Wir haben uns nämlich gerade gefragt«, sagte Flight, »ob du Kenny in letzter Zeit gesehen hast.
Er scheint sich nämlich ziemlich rar zu machen. Ich hab mich gefragt, ob er vielleicht in Urlaub
gefahren ist?«
Arnold blickte mit trüben Kinderaugen auf. »Was für ein Kenny?«
Flight lachte. »Kenny Watkiss, Arnold. Dein Kumpel Kenny.«
Einen Augenblick hielt Rebus die Luft an. Wenn es nun ein anderer Arnold war? Wenn Sammy den
Namen falsch verstanden hatte? Dann nickte Arnold langsam.
»Ach, der Kenny. Der ist eigentlich kein Kumpel von mir, Mr. Flight. Ich meine, ich seh ihn ab
und zu.« Arnold hielt inne, doch Flight nickte schweigend, als ob er noch mehr erwartete.
»Manchmal gehen wir zusammen einen trinken.«
»Worüber redet ihr dann?«
Die Frage kam unerwartet. »Wie meinen Sie das?«
»Das war eine ganz einfache Frage«, sagte Flight lächelnd. »Worüber redet ihr? Ich hätte nicht
gedacht, dass ihr beide viel gemeinsam habt.«
»Wir reden halt einfach. Ich weiß nicht.«
»Ja, aber worüber redet ihr? Über Fußball?«
»Manchmal, ja.«
»Was ist seine Lieblingsmannschaft?«
»Das weiß ich nicht, Mr. Flight.«
»Du redest mit ihm über Fußball und weißt noch nicht mal, was seine Lieblingsmannschaft
ist?«
»Vielleicht hat er's mir erzählt, und ich hab's vergessen.«
Flight sah ihn zweifelnd an. »Vielleicht«, stimmte er zu. Rebus kannte mittlerweile seine Rolle
in dem Spiel. Überlass Flight das Reden. Halt den Mund, aber setz einen Unheil verkündenden Blick
auf. Schweb wie eine dunkle Gewitterwolke über Arnold und starre wie der große Rächer auf diese
glänzende Billardkugel von Kopf hinab. Flight wusste genau, was er tat. Arnold wurde immer
nervöser. Sein Körper zuckte, er konnte den Kopf nicht stillhalten, und sein rechtes Knie hüpfte
auf und ab.
»Also, worüber redet ihr? Er ist doch ein Motorradfreak, oder?«
»Ja«, antwortete Arnold, mittlerweile wachsam geworden, weil er wohl ahnte, was auf ihn
zukam.
»Redet ihr also über Motorräder?«
»Ich mag keine Motorräder. Zu laut.«
»Zu laut? Ja, da hast du Recht.« Flight deutete mit dem Kopf Richtung Spielplatz. »Aber hier ist
es auch laut, Arnold, oder etwa nicht? Doch hier scheint dich der Lärm nicht zu stören. Wie kommt
das?«
Arnold sah ihn mit glühenden Augen an. Doch Flight hatte ein Lächeln für ihn bereit, ein Lächeln,
das schlimmer war als jede Grimasse. »Ich meine Folgendes«, fuhr er fort, »manchen Lärm magst du
und manchen nicht. Das ist dein gutes Recht. Aber du magst keine Motorräder. Worüber redest du
denn dann mit Kenny?«
»Wir reden einfach«, sagte Arnold mit qualvoll verzogenem Gesicht.
»Tratsch, wie sich die Stadt verändert, das East End. Hier waren überall kleine Reihenhäuser. Da
gab's eine Wiese und Schrebergärten. Die Familien haben auf der Wiese Picknick gemacht. Die
brachten deiner Mum Tomaten oder Kartoffeln oder einen Kohlkopf und sagten, sie hätten zu viel
angebaut, und die Kinder spielten alle auf der Straße. Da gab's keine Bangladeshis und so. Nur
richtige East Enders. Kennys Eltern wohnten nicht weit von hier. Zwei Straßen von wo ich gewohnt
hab. Natürlich war ich älter als er. Wir haben nie zusammen gespielt oder so.«
»Und wo hat Onkel Tommy gewohnt?«
»Da drüben.« Arnold zeigte mit einem Finger. Er hatte ein wenig an Selbstvertrauen gewonnen.
Erinnerungen konnten einem doch nichts anhaben, oder? Und nach dem Schlagabtausch, den er gerade
hinter sich gebracht hatte, war es eine große Erleichterung, unbeschwert zu reden. Also wurde er
gesprächiger. Die guten alten Zeiten. Doch zwischen seinen Worten konnte Rebus ein eher wahres
Bild erkennen, wie die anderen Kinder ihn verprügelt hatten, ihm Streiche spielten, wie sein
Vater ihn in sein Zimmer sperrte, ohne ihm was zu essen zu geben. Wie die Familie auseinander
brach. Der Absturz in die Kleinkriminalität. Furchtbar schüchtern, unfähig, Beziehungen
einzugehen, Freundschaften zu schließen.
»Siehst du Tommy auch mal hier in der Gegend?«, fragte Flight plötzlich.
»Tommy Watkiss? Ja, den seh ich.« Arnold erging sich immer noch in der Vergangenheit.
»Hat Kenny Kontakt zu ihm?«
»Klar. Er arbeitet manchmal für ihn.«
»Was denn? Irgendwelche Lieferungen?«
»Sachen ausliefern, abholen...« Arnold stockte, weil er plötzlich merkte, was er da sagte. Jetzt
redeten sie nicht mehr über die Vergangenheit. Das war kein sicheres

Weitere Kostenlose Bücher