Wolfsmale
regelmäßig wie der Mond. Das war doch nur eine Redensart, so regelmäßig
wie der Mond, oder? Er nahm einen Kalender von der Wand. Ansichten von Italien, ein Geschenk von
Gino's Sandwich Bar an die Polizeiwache. Die einzelnen Daten. War um den 16.
Januar, als Maria Watkiss gefunden wurde, Vollmond gewesen? Nein, aber andererseits glaubte man,
dass sie bereits zwei oder drei Tage tot war, ehe sie gefunden wurde. Am Donnerstag, dem 11.
Januar, war Vollmond gewesen. In Filmen wurden die Wolfsmenschen doch vom Vollmond beeinflusst?
Aber hier hatte man den Mörder nach der Wolf Street benannt, nicht weil er, oder sie, bei
Vollmond mordete. Rebus verwirrte das Ganze mehr denn je. Und wurden nicht Frauen angeblich vom
Mond beeinflusst?
Hatte irgendwas mit ihrer Monatsregel zu tun.
May Jessop war am Montag, dem 5. Februar, gestorben, vier Tage vor dem nächsten Vollmond. Shelley
Richards war am Mittwoch, dem 28.
Februar, gestorben, nirgends ein Vollmond in Sicht. Morrison hatte gesagt, in ihrem Fall habe es
Abweichungen gegeben, die Bisse hätten anders ausgesehen. Und schließlich war Jean Cooper in der
Nacht von Sonntag, dem 18. März, gestorben, zwei Tage vor dem Frühlingsäquinoktium.
Er warf den Kalender auf den Schreibtisch. Es ergab kein Muster, keine saubere mathematische
Lösung. Wem versuchte er etwas vorzumachen?
Das hier war doch kein Film. Der Held stolperte nicht einfach über die Lösung. Es gab keine
Abkürzungen. Vielleicht hatte Flight ja Recht. Sie mussten sich an ihre routinemäßige
Ermittlungsarbeit und das forensische Beweismaterial halten. Psychologie war keine Abkürzung, den
Mond anheulen auch nicht. Er konnte nicht wissen, wann der Wolfsmann wieder zuschlagen würde. Er
wusste so wenig.
Flight kam erschöpft ins Zimmer und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der mit einem Quietschen
protestierte.
»Ich hab Cath endlich erreicht«, sagte er. »Ich hab ihr Ihre Idee erläutert, und sie will darüber
nachdenken.«
»Das ist sehr nobel von ihr.«
Flight warf ihm einen warnenden Blick zu, und Rebus hob entschuldigend die Hände. Dann deutete
Flight mit dem Kopf auf den Kalender. »Was haben Sie vor?«
»Ich weiß nicht, nichts Besonderes. Ich hab gedacht, die Daten, an denen der Wolfsmann
zugeschlagen hat, ergäben vielleicht irgendein Muster.«
»Sie meinen so was wie Mondphasen, Äquinoktium und so?« Flight lächelte. Rebus nickte bedächtig.
»Verdammt, John, das hab ich auch schon alles durchprobiert und noch vieles mehr.« Er stand auf,
suchte nach einem Ordner und warf ihn Rebus hin. »Sehen Sie sich das an; ich hab's mit
Zahlenmustern versucht, der Entfernung zwischen den Tatorten, möglichen Transportmitteln - der
Wolfsmann scheint ziemlich mobil zu sein; ich nehme an, er hat ein Auto. Ich hab versucht, die
Opfer miteinander in Verbindung zu bringen, mich erkundigt, in welche Schule sie gegangen sind,
welche Bibliotheken sie benutzt haben, ob sie Sport getrieben haben, in die Disco gegangen sind
oder beschissene klassische Musik mochten. Und wissen Sie, was? Sie haben nichts gemeinsam; die
vier Frauen verbindet absolut nichts miteinander, abgesehen von der Tatsache, dass sie Frauen
waren.«
Rebus blätterte den Ordner durch. Da steckte eine ungeheure Arbeit drin, und das alles mit dem
einzigen Ziel, sich Klarheit zu verschaffen.
Flight war nicht durch Glück zu seinem gegenwärtigen Rang aufgestiegen oder indem er seinen
Vorgesetzten nach dem Mund redete oder sich aufspielte. Er war einzig und allein durch harte
Arbeit dorthin gekommen.
»Schon kapiert«, sagte Rebus. Dann, weil das nun doch ein bisschen dürftig schien, fügte er
hinzu: »Ich bin beeindruckt. Haben Sie das sonst schon jemandem gezeigt?«
Flight schüttelte den Kopf. »Das sind alles reine Vermutungen. Strohhalme, an die man sich
verzweifelt klammert. Weiter nichts. Würde die Sache nur verkomplizieren. Und außerdem, kennen
Sie die Geschichte von dem Jungen, der immer wieder Hilfe, ein Wolf schrie? Eines Tages
war wirklich ein Wolf da, aber da glaubte ihm niemand mehr, weil er immer so viel Scheiß erzählt
hatte.«
Rebus lächelte. »Aber es war trotzdem viel Arbeit.«
»Was haben Sie denn erwartet?«, fragte Flight. »Einen Schimpansen in `ner Trillerpfeife. Ich bin
ein guter Polizist, John. Ich mag zwar kein Experte sein, aber das hab ich auch nie
behauptet.«
Rebus wollte gerade protestieren, doch dann runzelte er die Stirn. »Was soll das mit der
Trillerpfeife?«, fragte er.
Flight
Weitere Kostenlose Bücher