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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Flight hatte die Vorstellung sofort verworfen,
doch aus welchem Grund? Rebus hatte letzte Nacht gelesen, dass eine wachsende Anzahl von
Serienmördern Frauen waren. Aber könnte eine Frau so zugestochen haben? Könnte eine Frau Opfer
von ähnlicher Größe und ähnlicher Körperkraft wie sie selbst in der Weise überwältigt
haben?
»Ich hätte gern ein paar Fotos davon«, sagte Flight gerade. Er hatte Morrison das Modell aus der
Hand genommen und betrachtete es erneut.
»Selbstverständlich«, sagte Morrison, »aber Sie dürfen nicht vergessen, dass das nur meine
Vermutung ist, wie der Kopf des Mörders aussehen könnte.«
»Wir wissen das zu schätzen, Tony. Vielen Dank für all Ihre Mühe.«
Morrison zuckte bescheiden die Achseln. Er hatte nach einem Kompliment gefischt und eines an die
Angel bekommen.
Rebus sah, dass Flight diese Vorstellung überzeugt hatte. Für Rebus war das eher Effekthascherei
als handfeste Fakten, eher der Stoff für ein Gerichtsmelodram. Er hatte immer noch das Gefühl,
dass sie, um den Wolfsmann zu schnappen, sich in seinen Kopf hineinversetzen mussten, statt mit
Gipsmodellen herumzuspielen.
Seinen oder ihren Kopf.
»Könnte man den Mörder allein anhand der Bissabdrücke identifizieren?«
Morrison dachte darüber nach. Dann nickte er. »Ich denke schon. Wenn Sie mir den Verdächtigen
bringen, werde ich wohl zeigen können, dass er oder sie der Wolfsmann ist.«
Rebus ließ nicht locker. »Aber würde das vor Gericht standhalten?«
Morrison verschränkte die Arme und lächelte. »Ich könnte die Geschworenen mit Fachjargon
verwirren.« Sein Gesicht wurde wieder ernst. »Nein, für sich betrachtet glaube ich nicht, dass
mein Beweismaterial je für eine Verurteilung ausreichen würde. Doch als Teil einer größeren
Beweiskette könnten wir ganz gute Chancen haben.«
»Immer unter der Voraussetzung, dass der Dreckskerl bis zum Prozess durchhält«, fügte Flight
grimmig hinzu. »Man hat ja schon von Unfällen gehört, die während der Untersuchungshaft passiert
sind.«
»Immer unter der Voraussetzung«, korrigierte ihn Rebus, »dass wir ihn überhaupt erwischen.«
»Das, meine Herren«, sagte Morrison, »überlasse ich ganz Ihren tatkräftigen Händen. Ich möchte
nur noch hinzufügen, dass ich mich darauf freue, meinen Freund hier dem echten Exemplar
vorzustellen.« Und dann nickte er mehrmals mit dem Gipskopf, bis es Rebus so schien, als würde
sich der Kopf über sie lustig machen, als würde er lachend die blicklosen Augen verdrehen.
Als Morrison sie hinausbegleitete, legte er Rebus eine Hand auf den Unterarm. »Das mit Ihren
Zähnen war ernst gemeint«, sagte er. »Sie sollten sie mal nachsehen lassen. Ich könnte das auch
selber machen, wenn Sie möchten.«
Im Polizeipräsidium ging Rebus sofort in den Waschraum und untersuchte vor einem mit Seife
bespritzten Spiegel seinen Mund. Wovon redete Morrison überhaupt? Seine Zähne sahen ganz in
Ordnung aus. Okay, an einem lief ein dunkler Strich herunter, vielleicht ein Riss, und ein paar
waren ziemlich übel verfärbt von zu vielen Zigaretten und zu viel Tee. Aber sie sahen doch ganz
kräftig aus, oder? Kein Bedarf an Bohrern und pieksenden und knirschenden Folterinstrumenten. Er
brauchte keinen Zahnarztstuhl, keine spitzen Nadeln, kein Blutspucken.
Als er wieder an dem Schreibtisch saß, den man ihm zugewiesen hatte, kritzelte er auf seinem
Notizblock herum. War Morrison bloß ein nervöser Typ, oder war er hyperaktiv? War er vielleicht
verrückt? Oder ging er einfach nur auf seine besondere Art an die Dinge heran?
Nur wenige Serienkiller waren Frauen. Statistisch gesehen war es also unwahrscheinlich. Seit wann
glaubte er denn an Statistiken? Seit er angefangen hatte, psychologische Fachliteratur zu lesen,
nämlich vergangene Nacht in seinem Hotelzimmer, nach dem katastrophalen Besuch bei Rhona und
Samantha. Kenny. Was, zum Teufel, hatte Kenny mit Tommy Watkiss zu tun? Der »Verehrer« seiner
Tochter. Ein lächelnder Schurke? Vergiss es, John. Über diesen Teil deines Lebens hast du keine
Kontrolle mehr. Darüber musste er grinsen. Über welchen Teil seines Lebens hatte er schon
Kontrolle? Die Arbeit gab seinem Leben, was auch immer es an Sinn hatte. Er sollte sich
geschlagen geben, Flight erklären, er könne ihnen nicht helfen, und nach Edinburgh zurückkehren,
wo ihm die Schurken und die Verbrechen vertraut waren: Drogenhändler, Schutzgeldeintreiber,
häusliche Gewalt, Betrug.
Ein Mord pro Monat, so

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