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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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erschlagen von dieser Masse an Fakten sagte Rebus, das wäre ihm neu.
Morrison führte sie, mit vor Begeisterung hüpfenden Schritten, in sein Büro. Doch sobald sie
drinnen waren, ließ der Zahnarzt die sozialen Nettigkeiten und wurde professionell.
»Er hat wieder zugeschlagen«, sagte er ohne jede Vorrede, während er sie zu der Wand hinter
seinem Schreibtisch führte, wo mehrere fünfundzwanzig mal dreißig Zentimeter große
Schwarzweißfotos angepinnt waren. Es waren gestochen scharfe Nahaufnahmen von den Bissabdrücken
auf Jean Coopers Bauch. Auf manchen Fotos waren an bestimmten Stellen Pfeile eingezeichnet. Sie
wiesen auf an die Wand geheftete Zettel, auf denen Morrison seine Erkenntnisse zusammengefasst
hatte.
»Da ich natürlich weiß, wonach ich suchen muss«, sagte er, »ließ sich ziemlich schnell
feststellen, dass es sich vermutlich um dieselben Zähne wie bei den vorherigen Opfern handelt.
Außerdem zeichnet sich allmählich ein Muster ab, das Anlass zur Beunruhigung geben könnte.« Er
ging zum Schreibtisch und kehrte mit weiteren Fotos zurück. »Die hier sind von Opfer Nummer eins.
Sie werden bemerken, dass die von den Zähnen hinterlassenen Eindrücke weniger ausgeprägt sind.
Sie werden bei Opfer zwei und drei jeweils ein bisschen stärker. Und nun...«, er zeigte auf die
aktuellen Fotos.
»Sie sind noch tiefer«, antwortete Rebus. Morrison strahlte ihn an.
»Ganz genau.«
»Also wird er zunehmend brutaler.«
»Wenn man einen Angriff auf jemanden, der bereits tot ist, als brutal bezeichnen kann,
dann haben Sie Recht, Inspector Rebus, er wird immer brutaler, oder vielleicht sollte man es als
immer unberechenbarer bezeichnen.« Rebus und Flight sahen sich an. »Abgesehen von den
Veränderungen in der relativen Tiefe der Bissabdrücke kann ich meinen bisherigen Ergebnissen nur
wenig hinzufügen. Die Zähne sind höchstwahrscheinlich prothetisch...«
Rebus fiel ihm ins Wort. »Sie meinen, falsch?«
Morrison nickte. »Wie können Sie das feststellen?«
Morrison strahlte erneut. Das Wunderkind, das sich gern vor seinen Lehrern produziert. »Wie kann
ich das am besten einem Laien erklären?« Er schien einen Augenblick über seine eigene Frage
nachzudenken. »Nun ja, die eigenen Zähne - Ihre zum Beispiel, Inspector Rebus, Sie sollten sie
übrigens mal nachsehen lassen - werden im Laufe der Zeit ein bisschen schartig. Die Schnittkante
ist angeschlagen und abgenutzt. Die Kante von falschen Zähnen ist dagegen in der Regel glatter
und mehr abgerundet. Besonders die Schneidezähne sind stumpfer, haben weniger Scharten und
Risse.«
Rebus hielt die Lippen geschlossen und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Tatsächlich, sie
fühlten sich gezackt an wie eine Säge. Er war seit zehn Jahren oder noch länger nicht mehr beim
Zahnarzt gewesen, hatte es nie für nötig befunden. Aber nun hatte Morrison diese Bemerkung
gemacht.
Sahen sie wirklich so furchtbar aus?
»Also«, fuhr Morrison fort, »aus diesem Grund, wie noch aus diversen anderen, würde ich sagen,
dass der Mörder falsche Zähne hat. Und dazu noch sehr seltsame Zähne.«
»Ach?« Rebus versuchte zu sprechen, ohne Morrison weitere Einblicke in seinen maroden Mundraum zu
gewähren.
»Ich habe das bereits Inspector Flight erklärt«, Morrison hielt inne, damit Flight zustimmend
nicken konnte, »aber, kurz gesagt, die obere Zahnreihe hat eine größere Bisskurve als die untere.
Aus meinen Messungen schließe ich, dass die Person, der diese Zähne gehören, ein ziemlich
merkwürdig geformtes Gesicht haben muss. Ich hatte bereits einige Zeichnungen angefertigt, aber
jetzt ist mir etwas noch Besseres gelungen. Ich bin froh, dass Sie heute gekommen sind.« Er ging
an einen Schrank und öffnete ihn. Rebus sah zu Flight, der die Achseln zuckte.
Morrison drehte sich wieder zu ihnen um; in der Hand hielt er irgendwas Großes, über das eine
braune Papiertüte gestülpt war.
»Sehen Sie her«, sagte er und entfernte die Tüte, »ich bringe Ihnen den Kopf des
Wolfsmanns!«
Im Zimmer war es so still, dass man den Verkehrslärm von draußen deutlich hören konnte. Rebus und
Flight wussten zunächst beide nicht, was sie dazu sagen sollten. Stattdessen gingen sie auf den
leise vor sich hin lachenden Morrison zu, der seine Schöpfung voller Freude betrachtete. Von
draußen war plötzlich lautes Reifenquietschen zu hören.
»Der Wolfsmann«, wiederholte Morrison. Er hielt das Modell eines menschlichen Kopfes in der Hand,
der -

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