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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Messingstange gestützt, und aß
zwei Pasteten. Er ließ sich Zeit. Das Flugzeug war pünktlich gelandet, das Auto hatte auf ihn
gewartet, und die Fahrt nach Glasgow hatte nicht lange gedauert. Er war zwanzig nach zwölf in der
Innenstadt gewesen und würde erst gegen drei Uhr aufgerufen, um seine Aussage zu machen.
Zeit totschlagen.
Er verließ das Pub, nahm, wie er hoffte, eine Abkürzung (obwohl er eigentlich gar kein bestimmtes
Ziel hatte) und ging über eine kopfsteingepflasterte schmale Straße auf ein Eisenbahnviadukt,
mehrere zerfallene Lagerhäuser und eine unbebaute Schotterfläche zu. Dort liefen viele Leute
herum, und er erkannte, dass es sich bei den Müllhaufen, die er auf dem feuchten Boden zu sehen
geglaubt hatte, in Wirklichkeit um zum Verkauf angebotene Ware handelte. Er war auf einen
Flohmarkt geraten, und zwar - so wie die Kunden aussahen - ein Flohmarkt, auf dem die Ärmsten der
Armen einkauften. Überall lagen feuchte schmutzige Kleidungsstücke herum. Daneben standen die
Verkäufer und traten schweigend von einem Fuß auf den anderen. Ein oder zwei schürten ein
behelfsmäßiges Feuer, um das sich andere sammelten, um sich ein wenig aufzuwärmen. Die Atmosphäre
war gedämpft. Die Leute mochten zwar husten, keuchen und pfeifend atmen, doch gesprochen wurde
wenig. Ein paar Punks, die mit ihren bunten Irokesenfrisuren so fehl am Platz wirkten wie
Papageien in einem Käfig voller Spatzen, schlenderten ebenfalls dort herum, sahen aber eigentlich
nicht so aus, als ob sie etwas kaufen wollten.
Die Einheimischen beäugten sie misstrauisch. Gaffer, besagte der kollektive Blick, bloß verdammte
Gaffer.
Unter den Brückenbögen waren schmale Gänge mit Buden und aufgebockten Tischplatten. Hier stank es
noch schlimmer, doch Rebus war neugierig. Kein Einkaufszentrum am Stadtrand hatte ein derartiges
Warensortiment zu bieten: kaputte Brillen, alte Radios (an denen der eine oder andere Knopf
fehlte), Lampen, Hüte, angelaufenes Besteck, Portemonnaies und Brieftaschen, unvollständige Sätze
Dominosteine und Spielkarten. Ein Stand schien nichts weiter als benutzte Stücke Seife zu
verkaufen, von denen die meisten aussahen, als stammten sie aus öffentlichen Toiletten. Ein
anderer verkaufte künstliche Gebisse. Ein alter Mann, dessen Hände fast unkontrollierbar
zitterten, hatte ein Unterteil gefunden, das ihm gefiel, fand aber keine passende obere Hälfte.
Rebus verzog das Gesicht und wandte sich ab. Die Irokesen hatten angefangen, Cluedo zu
spielen.
»Hey, Kumpel«, riefen sie dem Inhaber des Standes zu, »hier sind keine Waffen dabei. Wo is' denn
der Dolch und die Pistole und so?« Der Mann betrachtete die offene Schachtel. »Ihr könnt
vielleicht improvisieren«, schlug er vor.
Rebus ging lächelnd weiter. Das hier war ganz anders als London. Dort schien alles überfüllt, die
Dinge bewegten sich zu schnell, überall nur Stress. Mit dem Auto von A nach B fahren,
Lebensmittel einkaufen, am Abend ausgehen - das alles erwies sich als äußerst ermüdend. Er hatte
den Eindruck, dass bei Londonern leicht die Sicherung durchbrannte. Hier waren die Leute stoisch.
Ihr Humor half ihnen, Widrigkeiten, mit denen auch die Londoner zu kämpfen hatten, leichter zu
ertragen. Andere Welten.
Andere Zivilisationen. Glasgow war die zweitgrößte Stadt des Empire gewesen. Es war während des
gesamten zwanzigsten Jahrhunderts die größte Stadt Schottlands gewesen.
»Hamse `ne Kippe, Mister?«
Es war einer der Punks. Von nahem sah Rebus nun, dass es ein Mädchen war. Er hatte die ganze
Gruppe für Jungen gehalten. Sie sahen alle so gleich aus.
»Tut mir Leid. Ich versuch's mir gerade abzugewöhnen...«
Doch sie war bereits weitergegangen auf der Suche nach irgendjemandem, der ihre Bedürfnisse
sofort befriedigen konnte. Er sah auf seine Uhr. Es war kurz nach zwei, und er würde etwa eine
halbe Stunde von hier zum Gericht brauchen. Die Punks lamentierten immer noch wegen der fehlenden
Cluedo-Stücke herum.
»Ich mein, wie soll man denn ein Spiel spielen, wenn da Stücke fehlen? Kapierste, was ich mein,
Kumpel? Also, wo is' denn Colonel Mustard? Und das Brett is' übrigens in der Mitte fast
durchgerissen. Wie viel willste denn dafür?«
Der streitsüchtige Punk war groß und extrem dünn, was beides noch durch die schwarzen Klamotten
betont wurde, die er von Kopf bis Fuß anhatte. Als »Bohnenstange« hätte Rebus' Vater ihn
bezeichnet. War der Wolfsmann dick oder dünn? Groß oder klein?

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