Wolfsmale
Frazer zur Tür von Nummer 110.
Philip Cousins war immer noch in einen dunklen Anzug mit Krawatte gekleidet, durchaus passend für
eine Beerdigung. Isobel Penny war ebenfalls in Schwarz. Sie trug ein bodenlanges Kleid mit langen
engen Ärme ln. Sie sah nicht nach Beerdigung aus. Sie sah göttlich aus. Sie lächelte Rebus an,
als er das beengte Wohnzimmer betrat, und er nickte ihr grüßend zu.
»Inspector Rebus«, sagte Cousins, »man hat mir gesagt, dass Sie vielleicht vorbeikommen.«
»Lass mir doch keine gute Leiche entgehen«, erwiderte Rebus trocken.
Cousins, der über die Leiche gebeugt hockte, blickte zu ihm auf.
»Sehr richtig.«
Der Geruch war da, setzte sich Rebus in Nase und Lunge fest. Manche Leute rochen es nicht, er
aber immer. Es war ein starker Geruch, salzig, überwältigend, den Atem nehmend, widerlich. Und
durch ihn hindurch war ein weiterer Geruch wahrzunehmen, ein milderer, wie Talg, Kerzenwachs und
kaltes Wasser. Die beiden gegensätzlichen Gerüche von Leben und Tod. Rebus hätte darauf gewettet,
dass Cousins es riechen konnte, aber er bezweifelte, dass Isobel Penny es roch.
Eine Frau mittleren Alters lag auf dem Fußboden, Arme und Beine unnatürlich verdreht. Ihr war die
Kehle durchtrennt worden. Es gab Anzeichen für einen Kampf, heruntergeworfener und zerbrochener
Zierrat, blutige Handabdrücke an einer Wand. Cousins richtete sich seufzend auf.
»Sehr ungeschickt«, sagte er und blickte zu Isobel Penny, die auf ihrem Block zeichnete. »Penny«,
sagte er, »du siehst heute Abend ganz entzückend aus. Habe ich dir das schon gesagt?«
Sie lächelte wieder, errötete, sagte aber nichts. Cousins wandte sich zu Rebus, ohne Lisa Frazer
zu beachten, die schweigend neben ihm stand. »Es ist ein Nachahmungstäter«, sagte er mit einem
weiteren Seufzen, »aber nicht sehr schlau und mit wenig Talent. Offensichtlich hat er die
Beschreibungen in den Zeitungen gelesen, die zwar detailliert, aber nicht ganz richtig waren. Ich
würde sagen, er wurde bei einem Einbruch überrascht, geriet in Panik und zog sein Messer. Dann
dachte er, wenn er es so aussehen ließe, als wäre es unser Freund, der Wolfsmann, gewesen, könnte
er vielleicht ungeschoren davonkommen.« Er blickte wieder auf die Leiche hinab. »Nicht furchtbar
clever. Ich nehme an, die Geier haben sich bereits versammelt?«
Rebus nickte. »Als ich kam, waren etwa ein Dutzend Reporter draußen. Vermutlich sind es
mittlerweile doppelt so viele. Wir wissen ja, was die hören wollen, oder?«
»Ich fürchte, da werden sie enttäuscht werden.« Cousins sah auf seine Uhr. »Lohnt sich nicht
mehr, zum Dinner zurückzugehen. Wir haben vermutlich Port und Käse verpasst. Verdammt gute Küche.
Äußerst schade.« Er deutete mit einer Hand vage auf die Leiche. »Möchten Sie noch irgendwas
sehen. Oder sollen wir sie so einpacken, wie sie ist?«
Rebus lächelte. Der Humor war so schwarz wie der Anzug, aber in dieser Situation war jeder Humor
willkommen. Der Geruch im Zimmer hatte sich auf das Aroma von rohem Steak mit brauner Sauce
reduziert. Er schüttelte den Kopf. Hier drinnen gab es nichts mehr zu tun. Aber draußen, draußen,
da würde er einen Aufruhr erzeugen. Flight würde ihn dafür hassen, alle würden ihn dafür hassen.
Aber Hass war ganz in Ordnung. Hass war ein Gefühl, und ohne Gefühle, was blieb da noch? Lisa war
bereits in den winzigen Flur getaumelt, wo ein Polizist linkisch versuchte, sie zu beruhigen. Als
Rebus aus dem Zimmer kam, schüttelte sie den Kopf und richtete sich auf.
»Es geht schon wieder«, sagte sie.
»Das erste Mal ist für jeden hart«, sagte Rebus. »Komm mit, ich werde jetzt ein bisschen
Psychologie an dem Wolfsmann ausprobieren.«
Die Gruppe von Reportern und Kameraleuten war mittlerweile zu einer ansehnlichen Menge
angewachsen, zu der sich auch die Neugierigen und Schaulustigen gesellt hatten. Die uniformierten
Polizisten hatten sich nun untergehakt und bildeten eine kleine, aber nicht zu durchbrechende
Kette.
Und schon ging die Fragerei los: Sie da drüben! Dürfen wir fragen, wer Sie sind? Sie waren doch
am Kanal, oder? Ein Statement - Irgendwas zu sagen - Wolfsmann - Ist es - Der Wolfsmann? Ist es -
Nur ein paar Worte falls -Rebus war ganz dicht an sie herangetreten, Lisa an seiner Seite. Einer
der Reporter beugte sich zu Lisa hinüber und fragte sie nach ihrem Namen.
»Lisa, Lisa Frazer.«
»Arbeiten Sie an dem Fall, Lisa?«
»Ich bin Psychologin.«
Rebus räusperte sich laut. Die
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