Wolfsmale
Jung oder alt? Hatte er einen Job?
Eine Frau? Oder sogar einen Mann? Kannte jemand, der ihm nahe stand, die Wahrheit und schwieg?
Wann würde er als Nächstes zuschlagen?
Und wo? Diese Fragen hatte Lisa nicht beantworten können. Vielleicht hatte Flight ja doch Recht,
was die Psychologie betraf. So viel daran war reine Vermutung, wie ein Spiel, wo ein paar Stücke
fehlen und von dem niemand die Regeln kennt. Manchmal endet das damit, dass man ein Spiel ganz
anders spielt, als ursprünglich vorgesehen, als ein Spiel, das man sich selbst ausgedacht
hat.
Genau das brauchte Rebus, einen neuen Satz Regeln in seinem Spiel gegen den Wolfsmann. Regeln,
die zu seinem Vorteil waren. Die Zeitungsgeschichten waren ein Anfang, aber nur, wenn der
Wolfsmann den nächsten Schritt tat.
Vielleicht würde Cafferty diesmal davonkommen, aber es würde ein nächstes Mal geben. Das
Spielbrett war immer für einen neuen Anfang bereit.
Rebus machte seine Aussage und war gegen vier Uhr aus dem Gericht draußen. Die Akte zu dem Fall
gab er seinem Fahrer, einem Detective Sergeant mittleren Alters mit schütteren Haaren, dann
setzte er sich auf den Beifahrersitz.
»Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte er. Der Fahrer nickte.
»Gleich zurück zum Flughafen, Inspector?« Merkwürdig, wie ein Glasgower Akzent so sarkastisch
klingen konnte. Der Sergeant hatte es irgendwie geschafft, dass Rebus sich ihm unterlegen fühlte.
Allerdings waren sich Ost- und Westküste auch nicht gerade wohl gesonnen. Die beiden Regionen
hätten durch eine Mauer getrennt sein können, so lange wie der Kalte Krieg zwischen ihnen schon
anhielt. Der Fahrer wiederholte seine Frage ein wenig lauter.
»Ganz recht«, sagte Rebus. »Bei der Lothian and Borders Police führen wir das reinste
Jetset-Leben.«
Als er wieder in seinem Hotel am Piccadilly Circus war, hatte er Kopfschmerzen. Er brauchte eine
ruhige Nacht, eine Nacht allein. Er hatte es nicht geschafft, Flight oder Lisa zu
benachrichtigen, aber die konnten bis morgen warten. Im Augenblick wollte er gar nichts.
Nichts als Ruhe und Frieden, einfach auf dem Bett liegen und an die Decke starren, ohne an
irgendetwas zu denken.
Es war eine höllisch anstrengende Woche gewesen, und sie war erst zur Hälfte vorbei. Er nahm zwei
Paracetamol aus dem Fläschchen, das er mitgebracht hatte, und spülte sie mit einem Glas lauwarmem
Leitungswasser hinunter. Das Wasser schmeckte scheußlich. Stimmte es, dass das Londoner Wasser
durch sieben Paar Nieren gelaufen war, bevor es aus dem Hahn kam? Es hinterließ etwas Öliges in
seinem Mund, nicht den frischen, klaren Geschmack des Wassers von Edinburgh. Sieben Paar Nieren.
Er betrachtete seine Gepäckstücke und dachte an all das Zeug, das er mitgebracht hatte, unnützes
Zeug, Sachen, die er niemals brauchen würde. Selbst die Flasche Malt stand noch mehr oder weniger
unangerührt da.
Irgendwo klingelte ein Telefon. Sein Telefon, doch es gelang ihm, diese Tatsache volle fünfzehn
Sekunden zu ignorieren. Knurrend tastete er mit einer Hand an der Wand herum, bis er schließlich
den Hörer fand und ihn an sein Ohr zog.
»Ich hoffe, es ist was Wichtiges.«
»Wo, zum Teufel, waren Sie?« Es war Flights Stimme, besorgt und wütend zugleich.
»Einen schönen guten Abend, George.«
»Es hat einen weiteren Mord gegeben.«
Rebus richtete sich auf und schwang die Beine über die Bettkante.
»Wann?«
»Die Leiche wurde vor einer Stunde entdeckt. Und da ist noch was.« Er hielt inne. »Wir haben den
Mörder erwischt.«
Nun stand Rebus auf.
»Was?«
»Wir haben ihn erwischt, als er weglaufen wollte.«
Rebus versagten beinah die Knie, doch er drückte sie fest zusammen.
Seine Stimme war unnatürlich leise. »Und ist er es?«
»Könnte sein.«
»Wo sind Sie?«
»Ich bin im Präsidium. Wir haben ihn hierher gebracht. Der Mord wurde in einem Haus in einer
Seitenstraße der Brick Lane verübt. Nicht allzu weit von der Wolf Street.«
»In einem Haus?« Das war eine Überraschung. Die anderen Morde waren alle im Freien geschehen.
Doch wie Lisa bereits gesagt hatte, das Muster veränderte sich immer wieder.
»Ja«, sagte Flight. »Und das ist noch nicht alles. Der Mörder hatte Geld bei sich, das er in dem
Haus gestohlen hatte, außerdem etwas Schmuck und eine Kamera.«
Eine weitere Abweichung vom Muster. Rebus setzte sich wieder auf das Bett. »Ich verstehe, worauf
Sie hinauswollen«, sagte er. »Aber die Methode...?«
»Zweifellos ähnlich. Philip Cousins ist unterwegs. Er
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