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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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nicht so viel Rassismus. War auch kein Grund dafür da.
Stattdessen hatten die Schotten ihre Bigotterie.
Er las die Zeitungen zu Ende und ging zum Polizeipräsidium. Es war noch früh, erst kurz nach halb
neun. Einige aus dem Ermittlungsteam arbeiteten bereits an ihren Schreibtischen, doch die
kleineren Büros waren leer. In dem Büro, das Rebus übernommen hatte, roch es stickig, und er
öffnete das Fenster. Es war ein milder Tag, eine leichte Brise wehte herein.
Von irgendwo hörte er das Geräusch eines Druckers, das Klingeln von Telefonen. Draußen bewegte
sich der Verkehr langsam vorbei, ein dumpfes Dröhnen, weiter nichts. Ohne zu wissen, was er tat,
legte Rebus den Kopf auf die Arme. Die Schreibtischplatte verströmte einen Geruch nach Holz und
Möbelpolitur vermischt mit dem Geruch von Bleistiftminen. Er fühlte sich an die Grundschule
erinnert.
Ein Klopfen, das irgendwo wiederhallte, riss ihn aus dem Schlaf. Es folgte ein Husten, nicht von
einem Reiz verursacht, eher ein diplomatisches Hüsteln.
»Entschuldigen Sie, Sir.«
Rebus hob den Kopf abrupt vom Schreibtisch. Ein weiblicher Constable streckte den Kopf durch die
Tür und sah ihn an. Er hatte mit offenem Mund geschlafen. An einer Seite seines Mundes war etwas
Speichel heruntergeflossen und hatte auf dem Schreibtisch eine winzige Pfütze gebildet.
»Ja«, sagte er, immer noch benommen, »was gibt's?«
Ein mitfühlendes Lächeln. Sie waren nicht alle wie Lamb, das durfte er nicht vergessen. Bei einem
Fall wie diesem wurde man zum Team, fühlte sich allmählich mit den anderen so eng verbunden wie
mit seinem besten Freund. Manchmal sogar noch enger.
»Hier ist jemand für Sie, Sir. Nun ja, sie möchte mit jemandem über die Morde sprechen, und Sie
sind so ungefähr der Einzige, der da ist.«
Rebus sah auf seine Uhr. Viertel vor neun. Er hatte also nicht lange geschlafen. Gut. Er hatte
den Eindruck, dieser Polizistin vertrauen zu können. »Wie seh ich aus?«, fragte er.
»Na ja«, sagte sie, »ihr Gesicht ist ein bisschen rot auf der Seite, auf der Sie gelegen haben,
aber sonst geht's.« Dann wieder dieses Lächeln. Eine gute Tat in einer schlechten Welt.
»Danke«, sagte er. »Okay, schicken Sie sie bitte rein.«
»Mach ich.« Der Kopf verschwand, aber nur für einen Augenblick.
»Soll ich Ihnen einen Kaffee oder sonst was holen?«
»Kaffee wär genau das Richtige«, sagte Rebus. »Danke.«
»Milch? Zucker?«
»Nur Milch.«
Der Kopf verschwand. Die Tür ging zu. Rebus versuchte, einen beschäftigten Eindruck zu machen,
was nicht schwierig war. Es lag ein neuer Haufen Papiere da, die durchgesehen werden mussten.
Laborberichte und Ähnliches, Ergebnisse (negative) der Von-Haus-zu-Haus-Befragungen im Mordfall
Jean Cooper und von den Gesprächen mit sämtlichen Leuten, die an jenem Sonntagabend zur gleichen
Zeit wie sie im Pub gewesen waren. Er nahm das erste Blatt in die Hand und hielt es vor sich. Es
klopfte an der Tür, so leise, dass er es beinah nicht gehört hätte.
»Herein«, rief er.
Die Tür ging langsam auf. Eine Frau stand im Rahmen und schaute sich so vorsichtig um, als könnte
ihre Schüchternheit jeden Augenblick in Angst umschlagen. Sie war Ende Zwanzig und hatte sehr
kurze braune Haare, doch ansonsten entzog sie sich jeder Beschreibung. Am ehesten hätte man sie
als eine Ansammlung von Negativa bezeichnen können: nicht groß, aber auch nicht besonders klein;
nicht dünn, aber keineswegs übergewichtig, und ihrem Gesicht fehlte jede Art von persönlicher
Ausstrahlung.
»Hallo«, sagte Rebus und stand halb auf. Er deutete auf einen Stuhl auf der anderen Seite des
Schreibtischs und beobachtete, wie sie mit unglaublicher Langsamkeit die Tür schloss und
anschließend noch einmal probierte, ob sie auch wirklich zu war. Erst dann drehte sie sich um und
sah ihn an - oder zumindest in seine Richtung, denn sie hatte so eine Art, knapp an ihm
vorbeizustarren, sodass sich ihre Blicke nicht trafen.
»Hallo«, sagte sie. Sie schien die ganze Zeit stehen bleiben zu wollen.
Rebus, der sich wieder gesetzt hatte, wiederholte die Handbewegung.
»Bitte setzen Sie sich doch.«
Sie verharrte einen Augenblick unbeweglich über dem Stuhl, bevor sie sich doch darauf niederließ.
Rebus kam sich vor, als wäre er der Chef bei einem Vorstellungsgespräch und sie eine Bewerberin,
die den Job so sehr wollte, dass sie sich in eine regelrechte Hysterie hineingesteigert
hatte.
»Sie wollten mit jemandem reden«, sagte er mit - wie er hoffte

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