Wolfsmale
stand.
»Sie unglaublich dämlicher Wicht.«
Rebus setzte ein starres Lächeln auf. »Guten Abend, Inspector. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja«, sagte sie und trat ins Zimmer, »indem Sie anfangen, die Schnauze zu halten und ihr Gehirn
einzuschalten. Und reden Sie nie mehr mit der Presse. Nie mehr!« Sie hatte sich drohend vor ihm
aufgebaut und sah aus, als wollte sie ihm einen Stoß verpassen. Er versuchte, ihrem Blick
auszuweichen, der so scharf war, dass er einen fast aufschlitzte, und merkte, wie er stattdessen
auf ihr Haar starrte. Das sah ebenfalls gefährlich aus.
»Haben Sie mich verstanden?«
»LMAA«, sagte Rebus, ohne nachzudenken.
»Was?«
»Laut und deutlich«, sagte er. »Ja, laut und deutlich.«
Sie nickte bedächtig, anscheinend nicht völlig überzeugt, dann knallte sie eine Zeitung auf den
Schreibtisch. Er hatte die Zeitung bisher nicht bemerkt und warf einen Blick darauf. Auf der
Titelseite war ein Foto, nicht groß, aber groß genug. Es zeigte ihn, wie er zu den Reportern
sprach; Lisa stand neben ihm. Die Überschrift dagegen war riesig: WOLFSMANN GEFASST? Cath
Farraday tippte auf das Foto.
»Wer ist die Puppe?«
Rebus spürte, wie seine Wangen rot wurden. »Eine Psychologin. Sie hilft bei dem Fall mit.«
Cath Farraday sah Rebus an, als sei er noch blöder, als sie gedacht hatte, dann schüttelte sie
den Kopf und wandte sich zum Gehen. »Behalten Sie die Zeitung«, sagte sie. »Davon gibt's noch
reichlich.«
Sie sitzt, die Zeitung vor sich liegend, da. Auf dem Fußboden liegen noch weitere. Sie hat die
Schere in der Hand. In einem der Berichte steht der Name des Polizisten: Inspector John Rebus.
Der Bericht bezeichnet ihn als »Experten« für Serienmorde. Und in einem anderen Bericht wird
erwähnt, dass die Frau links neben ihm »Polizeipsychologin Lisa Frazer« ist. Sie schneidet das
Foto aus, dann macht sie einen weiteren Schnitt und trennt Rebus von Frazer. Das macht sie immer
wieder, bis sie zwei ordentliche Stapel hat, einen von John Rebus und einen von Lisa Frazer. Sie
nimmt eins der Fotos von der Psychologin und schneidet ihr den Kopf ab.
Dann setzt sie sich lächelnd hin, um einen Brief zu schreiben. Einen sehr schwierigen Brief, aber
das macht nichts. Sie hatte alle Zeit der Welt. Alle Zeit.
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Churchill
Rebus wurde um sieben von seinem Radiowecker geweckt, setzte sich im Bett auf und rief Lisa
an. Keine Antwort. Vielleicht war irgendwas passiert.
Beim Frühstück überflog er die Zeitungen. Zwei von den anspruchsvolleren Blättern berichteten
groß auf der Titelseite von der Festnahme des Wolfsmanns, ergingen sich jedoch in spekulativen
Wendungen: die Polizei hat angeblich... man glaubt, dass...; die Polizei könnte den gefährlichen
Mörder bereits gefasst haben. Nur die Boulevardblätter brachten Fotos von Rebus während seiner
kleinen Pressekonferenz. Doch selbst sie waren trotz der reißerischen Schlagzeilen vorsichtig;
vermutlich glaubten sie es auch nicht. Das spielte keine Rolle.
Wichtig war allein, dass der Wolfsmann vielleicht irgendwo von seiner Festnahme las.
Seiner. Da war das Wort schon wieder. Rebus konnte sich den Wolfsmann einfach nur als Mann
vorstellen, ermahnte sich jedoch, die Suche nicht in dieser Weise einzuengen. Bisher gab es
keinerlei Hinweise, dass es nicht auch eine Frau sein könnte. Er musste für alle Möglichkeiten
offen bleiben. Und war es wirklich von Bedeutung, was für ein Geschlecht die Bestie hatte?
Wahrscheinlich schon. Denn was hatte es sonst für einen Sinn, wenn Frauen stundenlang warteten,
um vom Pub oder von einer Party mit einem Taxi nach Hause zu fahren, das von einer Frau
chauffiert wurde, wenn sich herausstellte, dass der Mörder, vor dem sie solche Angst hatten, eine
Frau war? Überall in London ergriffen die Leute Sicherheitsmaßnahmen. Nachbarschaftliche
Wachteams patrouillierten durch Wohnsiedlungen. Eine dieser Streifen hatte bereits einen völlig
unschuldigen Fremden zusammengeschlagen, der in ihre Siedlung geraten war, weil er sich verlaufen
hatte und nach dem Weg fragen wollte. Sein Vergehen? Die Siedlung war weiß, und der Fremde war
farbig. Flight hatte Rebus erzählt, wie weit verbreitet Rassismus in London war, »besonders im
Südosten. Da braucht man nur leicht gebräunt in einer dieser Siedlungen aufzutauchen, und man
kriegt eins über die Birne.« Das hatte Rebus auch schon gemerkt, dank Lambs besonderer Ausprägung
von Fremdenfeindlichkeit.
In Schottland gab es natürlich bei weitem
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