Wolfsmale
gebleckt.
»Achten Sie auf den Weg!«, rief er. »Soll ich schon mal im Hotel anrufen, damit die Ihre Sachen
packen?«
Rebus' Antwort bestand aus einer unmissverständlichen Geste mit einem Finger, einer noch
entschlosseneren Gangart und einem geflüsterten »LMAA«, das Bennett mitbekam.
»Wie bitte, Sir?«
»Nichts«, sage Rebus. »Überhaupt nichts.«
Sie brauchten eine halbe Stunde, um nach Bloomsbury zu kommen. An jedem zweiten Gebäude schien
eine runde blaue Palette angebracht zu sein zur Erinnerung an irgendeinen Schriftsteller, der
dort mal gewohnt hatte.
Rebus kannte nur wenige der Namen. Schließlich sah er das Gebäude, das er gesucht hatte, und
verabschiedete sich mit einem Winken von Bennett.
Es war das Psychologische Institut des University College in der Gower Street. Die Sekretärin,
die dort gegen ein Uhr das einzige lebende Wesen zu sein schien, fragte, ob sie ihm helfen
könnte.
»Das hoffe ich«, sagte er. »Ich möchte zu Lisa Frazer.«
»Lisa?« Die Sekretärin schien unsicher. »Ach, Lisa. Du meine Güte, ich fürchte, da kann ich Ihnen
nicht helfen. Ich hab sie schon seit über einer Woche nicht gesehen. Sie könnten es mal in der
Bibliothek versuchen. Oder bei Dillon's.«
»Dillon's?«
»Das ist ein Buchladen, gleich um die Ecke. Lisa verbringt anscheinend viel Zeit dort. Sie liebt
Buchläden. Oder in der British Library. Da könnte sie eventuell auch sein.«
Er verließ das Gebäude, über ein neues Rätsel sinnierend. Die Sekretärin hatte auf ihn einen sehr
distanzierten und ziemlich konfusen Eindruck gemacht. Aber vielleicht lag das auch an ihm. Er
fing an, überall etwas hineinzuinterpretieren, das gar nicht da war. Er fand den Buchladen und
ging hinein. »Laden« war reichlich untertrieben. Das Geschäft war riesig.
Einer Wandtafel entnahm er, dass Psychologiebücher drei Stockwerke höher zu finden waren. So
viele Bücher. Die konnte doch kein Mensch in einem Leben lesen. Er versuchte, an den Regalen
vorbeizugehen, ohne hinzuschauen. Sobald er nämlich hinschaute, wäre sein Interesse geweckt, und
wenn sein Interesse geweckt war, würde er kaufen. Zu Hause hatte er bereits über fünfzig Bücher
neben seinem Bett gestapelt, die auf jene nebulöse Woche Urlaub warteten, in der er sich mal auf
etwas anderes konzentrieren könnte als auf Polizeiarbeit. Er sammelte Bücher. Das war so ziemlich
sein einziges Hobby. Was er allerdings ohne große Ansprüche betrieb. Ihn gelüstete nicht nach
Erstausgaben, signierten Exemplaren und Ähnlichem. Meistens kaufte er Taschenbücher. Und er war
überaus vielseitig in seinem Geschmack; ihm war jedes Thema recht.
Also versuchte er, so zu tun, als trüge er Scheuklappen, und dachte an seine Bücherberge zu
Hause, bis er schließlich in der Abteilung für Psychologie war. Es war ein Raum, aus dem man über
Verbindungsstücke wie bei einer Kette in andere Räume gelangte; aber Lisa war nirgends zu sehen.
Er fand jedoch die Stelle, von der zweifellos ein Teil ihrer Bücher stammte. Neben der Kasse war
ein Regal mit Literatur zum Thema Verbrechen und Gewalt. Eines der Bücher, das sie ihm geliehen
hatte, stand dort. Er nahm es heraus und drehte es um, um nach dem Preis zu sehen. Er musste
zweimal hinschauen, bis er es wirklich glaubte. So viel Geld! Und es war noch nicht mal eine
gebundene Ausgabe! Nun ja, wissenschaftliche Werke waren immer sehr teuer. Eigentlich merkwürdig;
dadurch war doch die angesprochene Leserschaft, die Studenten nämlich, gar nicht in der Lage,
diese Bücher zu kaufen. Das musste man sich mal von einem Psychologen erklären lassen, oder
vielleicht von einem schlauen Wirtschaftswissenschaftler.
Neben der kriminologischen Literatur standen Bücher über Hexerei und Okkultes, dazu diverse
Päckchen mit Tarotkarten und Ähnlichem. Rebus musste über diese seltsame Liaison lächeln:
Polizeiarbeit und Hokuspokus.
Er griff nach einem Buch über Rituale und blätterte darin herum. Eine schlanke junge Frau in
einem wogenden Satinkleid und mit langen feuerroten Haaren blieb neben ihm stehen, nahm sich ein
Tarotspiel und ging damit zur Kasse. Nun ja, jedem das Seine. Sie wirkte recht ernst, aber
schließlich waren es auch ernste Zeiten.
Rituale. Er fragte sich, ob die Metzeleien des Wolfsmanns etwas Rituelles an sich hatten. Bisher
hatte er nur in der Psyche des Mörders nach einer Erklärung gesucht. Wenn das Ganze nun irgendein
Ritus war?
Abschlachtung und Schänden der Unschuldigen, so was in der
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