Wolfsmale
vollständig. Es ist kein gutes Gefühl. Es ist ein schlechtes Gefühl.
Doch das ist im Moment nicht wichtig.
Wieder zu Hause.
»Du hast ja eine irre Bude«, sagt sie. Er lächelt, nimmt ihr den Mantel ab und hängt ihn auf. »Es
riecht allerdings ein bisschen komisch. Du hast doch nicht etwa eine undichte Gasleitung?«
Nein, keine undichte Gasleitung. Aber eine undichte Stelle schon. Er greift in die Tasche, um
festzustellen, ob die Zähne da sind. Natürlich sind sie da. Sie sind immer da, wenn er sie
braucht. Um damit zu beißen. So wie er gebissen wurde.
»Nur ein Spiel, Süße.«
Nur ein Spiel. Aus Spaß gebissen. In den Bauch. Gebissen. Nicht fest, mehr wie ein Schnauben.
Aber es tat trotzdem weh. Er berührt seinen Bauch. Es tut immer noch weh, selbst jetzt.
»Wo möchtest du mich haben, Schätzchen?«
»Hier drinnen ist okay«, sagt er, nimmt den Schlüssel heraus und beginnt, die Tür aufzuschließen.
Das mit dem Spiegel war keine gute Idee gewesen. Die Letzte hatte gesehen, was hinter ihr
geschah, und angefangen zu schreien. Der Spiegel ist jetzt wieder weg. Die Tür ist auf.
»Schließt du die immer ab? Was hast du denn da drin? Die Kronjuwelen?«
Und der Wolfsmann zeigt die Zähne und lächelt.
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Du musst wissen, Frau...
Er wachte in seinem Hotelzimmer auf, was schon nicht schlecht war, wenn man bedachte, dass er
keine Ahnung hatte, wie er dorthin gekommen war.
Er lag vollständig angezogen auf dem Bett, die Hände zwischen die Beine gepresst. Neben ihm lag
die Tragetasche mit den Büchern. Es war sieben Uhr, und nach der Beschaffenheit des Lichtes zu
urteilen, das durch das Fenster drang, war es wohl eher Morgen als Abend. So weit, so gut. Das
Schlimme war, dass in seinem Kopf zweierlei Schmerzen tobten, ein fürchterlicher, wenn er die
Augen öffnete, und ein unerträglicher, wenn er sie schloss. Bei geschlossenen Augen drehte sich
die Welt in einer merkwürdigen Schräglage. Bei geöffneten Augen schwebte sie lediglich auf einer
anderen Ebene.
Er stöhnte und versuchte, seine pelzige Zunge vom Gaumen zu lösen, taumelte zum Waschbecken und
ließ mehrere Sekunden kaltes Wasser laufen. Dann bespritzte er sich das Gesicht, ließ Wasser in
seine hohle Hand laufen und schlappte es wie ein Hund. Das Wasser schmeckte süß und gechlort. Er
versuchte, nicht an Nieren zu denken... sieben Paar Nieren. Er kniete sich hin, unarmte die
Kloschüssel und würgte sich die Seele aus dem Leib. Wie sah die Bilanz aus? Sieben Brandys, sechs
dunkle Rum - danach hatte er aufgehört zu zählen. Er drückte einen Streifen Zahnpasta auf die
Bürste und schrubbte Zähne und Zahnfleisch. Dann erst fand er endlich den Mut, sich im
Wandspiegel zu betrachten.
Ein doppelter Schmerz plagte ihn. Einmal durch den Kater bedingt, und dann die Nachwehen von dem
Überfall. Ihm waren zwanzig Pfund gestohlen worden, vielleicht auch dreißig. Doch was er an Stolz
eingebüßt hatte, war nicht zu errnessen. Er hatte eine gute Beschreibung von der Gang im Kopf,
besonders von ihrem Anführer. Heute Vormittag würde er der zuständigen Polizeidienststelle
mitteilen, was er wusste. Und er würde sich unmissverständlich ausdrücken: Sucht sie und macht
sie unschädlich. Wem wollte er da eigentlich was weismachen? Die würden doch eher ihre eigenen
Schurken schützen als einem Eindringling von nördlich der Grenze zu helfen. Unser Mann von
nördlich der Grenze. Jockland. Jock. Aber die Gang ungeschoren davonkommen zu lassen wäre noch
schlimmer. Teufel noch mal!
Er betastete sein Kinn. Es fühlte sich schlimmer an, als es aussah. Auf einer Wange war ein
heller senffarbener Fleck, und am Kinn hatte er eine Schramme. Wie gut, dass Turnschuhe gerade in
Mode waren. Anfang der siebziger Jahre wäre es ein Springerstiefel mit Stahlkappe gewesen, und er
hätte ganz schön alt ausgesehen.
Allmählich hatte er nichts Sauberes mehr zum Anziehen. Heute würde er sich entweder ein paar neue
Sachen kaufen oder in einen Waschsalon gehen müssen. Er hatte nicht vorgehabt, länger als zwei
oder drei Tage in London zu bleiben. Er war davon ausgegangen, dass die Met dann einsehen würde,
dass er nichts zu dem Fall beitragen konnte. Stattdessen war er immer noch hier, fand mögliche
Anhaltspunkte, machte sich nützlich, wurde zusammengeschlagen, verwandelte sich in einen
überängstlichen Vater und hatte eine Urlaubsaffäre mit einer Psychologiedozentin.
Er dachte an Lisa, an das merkwürdige Verhalten der Sekretärin am
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