Wolfsmondnacht (German Edition)
sagte sie und vergrub das Gesicht in ihren Händen.
»Aber der König …«
Sie unterbrach ihn. »Der König. Pah! Olivier wird gar nichts tun. Es gibt kein Gesetz gegen die Erschaffung von loup-garous . Und wenn schon. Außerdem kann ein Geborener zu gewissen Zeiten genauso außer Kontrolle geraten wie ein Erschaffener.«
»Aber die Kindermorde kann Olivier nicht zulassen.«
»Niemand wird es ihm verübeln, wenn er nichts dagegen unternimmt. Die Menschen töten unsere Kinder ebenfalls. Sie verbrennen sie lebendig. Das ist noch grausamer.«
»Es gibt keine Rechtfertigung dafür!« Silvain sah sie entsetzt an. Wenn er so ernst war, wirkte er älter. In seinem Äußeren ähnelte er ihr, doch in seinen Augen erblickte sie Laurents Geist.
»Wenn König Oliver nichts unternimmt, dann sind uns die Hände gebunden.«
»Er hasst dich, nicht wahr?«, fragte Silvain.
Sein Scharfsinn überraschte sie.
»Er sieht mich als Gefahr für die Monarchie an.«
»Du warst die Thronerbin.«
»Mein Ruf ist zerstört.«
»Du hast meinen Vater nicht getötet.«
»Das weißt du nicht sicher.«
»Ich kenne dich.«
»Du bist einer von wenigen, die so denken.«
»Olivier hasst die Menschen.«
»Wer würde nicht die hassen, die seine Mutter getötet haben?«
»Wohl wahr. Doch belastet es dich gar nicht, dem zusehen zu müssen, ohne etwas unternehmen zu können?«
»Es belastet mich, sehr sogar. Doch ändert das nichts. Oliver wird mich töten lassen, wenn ich mich einmische. In den Augen der loup-garous stehe ich böser da als dieser Kindermörder, denn es sind ja nur Menschen.«
»In den Augen der Menschen sind wir nur Tiere.«
Pamina schwieg, denn Silvains Worte waren allzu wahr und schmerzhaft. Die Tatsachen widersprachen allem, wofür Laurent sein gesamtes Leben lang gekämpft und dabei verloren hatte.
Kapitel 18
Jean-François erwachte kurz nach Sonnenuntergang. Als er sich streckte, berührten seine Hände die cremefarbenen und bordeauxroten Stoffbahnen, mit denen er die Wände seines Schlafzimmers im Keller seines paduanischen Hauses drapiert hatte. Er erhob sich von seinem großen Bett in der Raummitte und ging zu den mit Silberbeschlägen versehenen Truhen, um ihnen Kleidung zu entnehmen.
Zum blütenweißen Hemd wählte er eine knielange, geschlitzte Pluderhose, die vom selben Dunkelrot war wie sein Wams und die pelzverbrämte Zimarra, den knielangen, umhangähnlichen Mantel. Aufgrund seiner Profession musste er auf ansprechende Kleidung achten.
So angetan trat er die Kellerstufen hinauf und durchquerte den Flur. Die Tür des Salons war angelehnt. Kühle Nachtluft zog durchs offene Fenster herein. Er war sicher gewesen, es verschlossen zu haben. Er war nicht allein! Warum war ihm dies nicht bereits früher aufgefallen? Doch es roch nicht nach Wolf. Nicht immer konnte er sie vernehmen, denn geschickt waren sie darin, sich zu verbergen und sich ihm stets entgegen der Windrichtung zu nähern. Vorsichtig schlich Jean-François sich näher.
Ein Mann stand am Fenster und blickte hinaus. Er wandte sich um, als spürte er Jean-François’ Anwesenheit.
» Buona sera .«
» Bonsoir . Führt dich die Sehnsucht zu mir?«
Alessio schüttelte den Kopf. »Schön, wenn es so wäre. Ich wollte dir nur sagen, dass Sior Mortemard nach Dôle aufgebrochen ist. Zu deiner Schwester.«
»Was? Dieser Schuft!« Jean-François lief im Raum hin und her.
»Ganz so ist es nicht. Er sagte, deine Nichte wäre erkrankt und Céleste hätte ihn um Hilfe gebeten.«
»Krank? Was ist mit Jeanne?«
»Hat er nicht gesagt. Hippokratischer Eid oder so.«
»Warum schreibt sie ihm? Warum nicht mir?«
Alessio hob die Achseln. »Weil er Heiler ist?«
»Warum Mortemard? Gibt es keine Heiler in Dôle?«
»Keine Ahnung. Ich bin so selten in Dôle, genau genommen war ich noch nie dort. Vielleicht hält sie ihn für besser als die anderen Heiler.«
»Soso, sie vertraut ihm mehr.«
»Womöglich handelt es sich um eine delikate Angelegenheit.«
»Delikat? Dem werde ich helfen!«
»Na du weißt schon, Weiberkrankheiten.«
»Ich weiß gar nichts« Jean-François trat zum Fenster und blickte hinaus.
»Musst du auch nicht. Es reicht, wenn Sior Mortemard sich damit auskennt.«
»Damit sollte er in Dôle vorsichtig sein. Weiberkrankheiten sind das Metier der Hebammen und Kräuterweiblein und nicht das der Männer. Es sind dort andere für Geringeres verbrannt worden.« Jean-François wandte sich zu Alessio um. »Hat Monsieur Mortemard
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