Wolfsmondnacht (German Edition)
gesagt, ob Jeannes Krankheit gefährlich ist?«
»Nichts Genaues. Todgeweiht scheint sie noch nicht zu sein. Was genau sie hat, wollte er mir nicht sagen. Hippokratischer Eid.«
»Ich werde sofort nach Dôle aufbrechen.«
Sonntag, 8. November 1573, ein Tag vor Vollmond
Es war bereits nach Mitternacht, als ein Krachen Céleste aus dem Schlaf riss. Sie schrak hoch. Das Geräusch war aus der Richtung von Jeannes Schlafraum gekommen.
Schlafwandelte sie wieder, wie es in Vollmondnächten vorkam? Céleste hatte Angst, dass sie sich dabei verletzte oder den Hexenjägern in die Quere kam. Von innerer Unruhe getrieben, eilte sie zum Zimmer ihrer Tochter, das drei Türen weiter gelegen war. Im Haus war alles still, bis auf ihre Schritte und das zu schnelle Geräusch ihres Atems.
Vorsichtig, um Jeanne nicht zu erschrecken, schloss sie die Tür zu Jeannes Schlafraum auf und öffnete sie. Leise knarrte die Tür. Ein Luftzug drang Céleste entgegen und strich kühl um ihre bloßen Beine.
Célestes Blick fiel auf das Bett. Es war leer, das Laken zerwühlt von unruhigem Schlafe und erneut befand sich ein Fleck in der Mitte. Céleste trat näher und erkannte Blut, das Blut des monatlichen Mondes, erweckt und vergossen zum wiederholten Male. Wie verstört Jeanne beim ersten Mal gewesen war; dachte sie doch, zu verbluten, als es nach drei Tagen noch nicht versiegte.
Céleste starrte auf den Fleck. Das Blut war noch frisch. Jeanne konnte noch nicht weit sein. Sie musste zu ihr.
Der Vollmond schien durch das offene Fenster. Célestes Herz schlug schneller. War Jeanne entführt worden? Sie trat zum Fenster, um in die Tiefe hinabzublicken. Nichts war zu sehen, außer Buschwerk und den Rosen, die sie im vergangenen Frühling gemeinsam gepflanzt hatten.
Céleste eilte in ihren Raum, warf einen Radmantel über und rannte die Treppe hinunter. Die Haustür war abgeschlossen und der Schlüssel steckte von innen. Jeanne war also nicht hier hinausgegangen. Doch nicht etwa durch das offene Fenster? Das war Wahnsinn.
Wahrscheinlicher war, dass sie aus einem der Fenster des Untergeschosses gestiegen war. Céleste nahm ihr Langmesser, ohne das sie nach Anbruch der Nacht das Haus nicht verließ, und ging hinaus. Von außen wirkte der Vollmond noch bedrohlicher.
Céleste umrundete das Haus. Kein Fenster des Untergeschosses stand offen. Ein Ast des Busches, der unter Jeannes Zimmerfenster wuchs, war abgebrochen. Also war sie wirklich aus dieser Höhe aus dem Fenster geklettert. Céleste war froh, das Gras nicht gemäht zu haben. So erkannte sie den Trampelpfad, der in den Wald führte. Céleste lief ein Frösteln über den Rücken, als sie in die Dunkelheit zwischen den Bäumen trat. Wie sollte sie Jeanne hier finden? Zumindest schien der Vollmond hell, was ihre Suche erleichtern würde. Sie drang tiefer in das Dickicht vor.
Am Tage liebte Céleste den Herbstwald wegen seiner Farben und der Irrlichter, die die Sonne auf dem gefallenen Laub tanzen ließ. In der Nacht jedoch verblasste all dies. Jetzt war ihr der Wald unheimlich. Die Schatten verdichteten sich und hinter jedem Baumstamm schien etwas zu lauern. Zudem zog Nebel auf, was Céleste Sorgen bereitete.
Das Mondlicht erreichte inzwischen den Waldboden nicht mehr. Céleste irrte durch den Wald, wich herabhängenden Ästen aus und stolperte über Baumwurzeln. Sie wusste nicht, wie lange sie schon der Spur aus Blut und abgebrochenen Ästen folgte, da vernahm sie ein Knacken. Wohl lief ein Tier durch die Nacht. Gab es hier nicht Wölfe und Bären? Oder Räuber?
Ein Frösteln lief über ihre Haut. Die feinen Härchen auf ihrem Rücken stellten sich auf. Céleste umfasste den Griff ihres Langmessers fester. Sie überlegte, ob sie umkehren und jemanden um Hilfe bei ihrer Suche bitten sollte. Doch wen? Man würde ihre Tochter für eine Hexe halten, wenn sie blutbeschmiert im Wald schlafwandelte. Es waren Menschen für geringere Dinge auf dem Scheiterhaufen gelandet. Sie konnte hier niemandem vertrauen.
Céleste eilte weiter. Sie musste Jeanne finden, bevor es jemand anders tat. Der Vollmond trat hinter einem Wolkenband hervor. Céleste erschrak. Dort im Zwielicht sah sie eine Kreatur, entsprungen den finstersten Albträumen der Menschheit.
Wie gebannt war Céleste von der unaussprechlichen Abscheulichkeit des Wesens. In seiner Form ähnelte es einem großen Menschen, doch besaß es krallenbewehrte Klauen und Reißzähne, die dafür geschaffen waren, seine Opfer zu zerreißen. Das
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