Wolfsmondnacht (German Edition)
du.«
»Du willst den Thron nach Laurent besteigen. Das ist es doch! Du hast etwas mit dem Mord zu tun, sonst wärst du jetzt nicht hier.«
»Aber, aber, Schwester, werden wir doch nicht unsachlich.« Er starrte sie durch die Gitter hindurch an. »Du denkst doch nicht, ich lasse mir von dir den Thronanspruch nehmen, der nach dem Tod deines Vaters mir, seinem Erstgeborenen, zustand. Nur durch die Intrigen Penelopes wurde meine Mutter verstoßen. Zum Huren war sie dem König gut genug … Fakt ist: Ich bin älter als du und zudem ein Mann. Ich bin auch älter als es dein Bruder war.«
»Ich hab es vernommen. Du hast ein Zepter zwischen den Beinen und leitest deinen Thronanspruch daraus hervor.«
»Mein Thronanspruch entspringt meinem Blut und meiner Stärke. Laurent war zu schwach und zudem ein Menschenfreund.« Olivier spie das letzte Wort verächtlich aus.
»Du hast ihn gehasst! Du hast ihn getötet.«
»Aber, aber.« Das Lächeln schwand von Oliviers Zügen. »Wen ich auch immer hasse, denke du stets daran, dass der wahre Feind ein anderer ist. Die Menschen hassen uns nur, weil wir loup-garous sind. Hab acht, wem du den Rücken zuwendest. Es könnte das letzte Mal sein.«
»Einige unseres Volkes waren früher Menschen.«
»Das sagst du gut: Sie waren es, doch sie haben diese Schwäche hinter sich gelassen. Sie sind nun ebenso Feinde der Menschen wie wir. Wenn sie den Menschen in die Falle gerieten, so wollen diese nichts mehr davon wissen, dass sie einst zu ihnen gehörten. Sie verbrennen sie, genauso wie uns. Wem denkst du gehört die Loyalität der Erschaffenen? Deinem menschenfreundlichen, toten König, den Menschen oder mir, der ihnen die Stärke eines geschlossenen Volkes bietet, unserer einzigen Möglichkeit, zu überleben in einer feindlichen Welt?«
»Du irrst dich, Oliver.«
»Ich hoffte, dem wäre so. Gedenke meiner Worte, Pamina. Morgen Abend bist du tot und verrottest neben deinem schwachen König.« Damit drehte er sich um und ging davon.
Pamina fiel Stunden später vor Erschöpfung in einen Schlaf, der von Albträumen durchzogen war. Schließlich erwachte sie von einem Geräusch.
»Pamina«, vernahm sie die leise Stimme ihrer Tante Agnes. Sie blinzelte, denn sie glaubte zu träumen, doch ihre Tante verschwand nicht. Allzu deutlich sah sie ihr Gesicht unter der Kapuze der dunkelbraunen Kutte, die sie trug. Unter ihrem Arm hielt sie etwas Zusammengerolltes, offenbar eine weitere Kutte.
Pamina blinzelte. »Bist du es wirklich?«
»Leise. Du willst doch nicht, dass sie uns hören und töten.« Agnes holte einen Schlüssel hervor, den sie unter ihrem Gewand verborgen hatte. »Wir haben nicht viel Zeit, bis die Wachen aus der Bewusstlosigkeit aufwachen. Du musst fliehen, sonst bist du morgen nicht mehr.« Agnes schloss das Gitter auf, das sie von Pamina trennte. Sie tauschten flüchtige Küsse aus.
»Olivier war hier«, sagte Pamina.
»Sprechen wir später darüber. Machen wir, dass wir von hier verschwinden.« Agnes reichte ihr die zusammengerollte Kutte, die sie unter dem Arm getragen hatte. Hastig zog Pamina diese an und verbarg ihr Haar unter der Kapuze. Sie folgte Agnes, so leise es die Steinstufen zuließen, die Treppe hinauf. Die Wachen ruhten vor dem Turm.
»Hast du sie …«
Agnes gebot ihr, zu schweigen. So schritt sie stumm hinter ihrer Tante her, hinein in den Wald. Nach langem Marsch erblickte sie plötzlich die Hütte ihrer Tante. Es war ein Ort der Magie und Wunder, auch wenn er auf Pamina nicht so wirkte, da er ihr seit frühester Kindheit vertraut war, doch die sie seit Jahren nicht mehr betreten hatte. Verwundert betrachtete sie das windschiefe Dach, das bewachsen war von Flechten und Moosen, eingewachsen in Büschen, die Mauern überwuchert von Kletterpflanzen.
Es war auf eine Weise mit dem Wald verschmolzen, die es nur dem Eingeweihten sichtbar machte. Eine bessere Zuflucht konnte sie sich nicht wünschen. Seit Jahrhunderten war es das Domizil der Heilerin und jedem loup-garou ein heiliger Ort.
Agnes führte Pamina herein. Drinnen war es gemütlich und weitaus geräumiger, als es von außen den Anschein machte. Es hatte sich nicht viel verändert, seit Pamina ein Kind gewesen war. Neben der Küche, dem Vorratsraum und Agnes’ Schlafraum gab es noch zwei zusätzliche Räume, in denen sie Kranke und Verwundete pflegte und schlafen ließ. In der Küche roch nach den Kräuterbündeln, die von der Decke hingen und den Salben, die ihre Tante zubereitete. Es war einer der
Weitere Kostenlose Bücher