Wolfsmondnacht (German Edition)
vielleicht.«
Kapitel 2
Am Abend des 7. Juli 1560
»Wer ist die Alte, die uns die ganze Zeit verfolgt? Nach einer Fee sieht sie nicht gerade aus«, sagte Jean-François, der neben Céleste durch den Wald ging.
Céleste lachte warf einen Seitenblick auf die zahnlose, gebückte Gestalt, die fluchend hinter ihnen herhumpelte. »Das ist Marie, meine Moralwächterin, eine Freundin von Tante Camille. Sie wollte mich abends nicht mit dir allein aus dem Haus lassen, da sie dich für einen Kuppler hält.«
Jean-François lachte leise. »Als könnte mich ein altes Weib aufhalten, wenn ich etwas Schlimmes vorhätte. Zudem kann man Schandtaten auch bei Tage begehen.«
Céleste lachte. »Wohl wahr. Wozu die Waffe?«, fragte sie und deutete auf die Arkebuse in Jean-François’ Hand.
»Es soll hier Wölfe geben.«
Erstaunt sah sie ihn an. »Oh, ich habe hier bisher keine gesehen.«
»Es ist unwahrscheinlich, dass sie uns angreifen, denn sie sind eher scheu. Zu dieser Jahreszeit finden sie mehr als genügend Nahrung.«
»Sicher?«, fragte Céleste.
»Darauf verlassen würde ich mich nicht. Zudem sind es die zweibeinigen Bestien, die mir mehr Sorgen bereiten.«
»Zweibeinige Bestien?«
»Menschen, ma petite . Sie sind schlimmer als …« Er erstarrte mitten im Wort und gab den beiden ein Handzeichen, dass sie stehen bleiben sollten. Céleste sah ihn fragend an, folgte dann seinem Blick und schlug entsetzt ihre Hand vor den Mund.
Jean-François trat vorsichtig näher zu dem hellblonden Weib, das nackt und blutend auf dem Waldboden lag. Lange Wunden zogen sich über die linke Seite ihres Leibes.
»Oh, mon dieu !«, entfuhr es Marie. Jean-François brachte sie mit einer Geste zum Schweigen.
»Die Wölfe?« Célestes Stimme bebte.
Jean-François schüttelte den Kopf. » Non , dafür sind die Krallenspuren zu groß.«
Er wandte seinen Blick von der Nackten ab und ließ ihn durch das Unterholz gleiten, die Arkebuse feuerbereit in Anschlag, doch nichts war zu sehen oder zu hören.
»Kannst du für einen Moment die Waffe nehmen, Céleste? Ich will mir ihre Verletzungen ansehen.« Er hielt Céleste die Arkebuse hin, die sie ohne zu zögern ergriff.
»Du weißt, der Rückstoß …«
Céleste sah ihn indigniert an. »Das weiß ich doch. Schließlich habe ich schon oft genug damit geschossen.«
Jean-François lächelte zufrieden. Die Schießübungen, die er mit ihr in den vergangenen Sommern durchgeführt hatte, trugen Früchte.
Langsam trat Jean-François näher zu der Verletzten. Er beugte sich über sie. Auch während er nach ihrem Puls tastete und ihre Wunden inspizierte, ließ seine Wachsamkeit nicht nach.
»Sie lebt«, sagte er. »Die Wunden sind nicht allzu tief. Nichts Gefährliches, solange sie kein Wundfieber bekommt.«
Céleste betrachtete sie. »Was hat diese Wunden verursacht?«
Er hob die Achseln. »Keine Ahnung. Ich werde sie nicht hier liegen lassen. Kannst du die Waffe auch während des Rückwegs nehmen?«
» Oui, mon frère . Ich schieße alles nieder, was sich uns in den Weg stellt.« Nicht für einen Moment blitzte Unsicherheit in Célestes Augen auf.
»Ihr könnt ihr doch keine Waffe geben«, sagte Marie.
»Céleste weiß damit umzugehen. Es ist besser, sie ist bewaffnet, als niemand, falls das Untier, das sie angegriffen hat, noch in der Nähe ist.«
Die Alte sah ihn böse an. »Dieses Weib kann nur eine Hure sein. Sonst würde sie nicht nackt im Wald liegen.«
»Schweigt, Marie!« Schärfe lag in seiner Stimme.
Sie zuckte unter seinem Blick zusammen, trat jedoch einen Schritt näher zu ihm heran.
»Erst lehrt Ihr Céleste das Lesen und Schreiben, dann den Umgang mit Waffen und jetzt wollt Ihr dieser Hure helfen. Es wird ein böses Ende mit Euch nehmen.«
»Schweigt, Närrin! Wir können sie nicht dem sicheren Tod überlassen, egal was sie in Euren Augen ist, in erster Linie ist sie ein Mensch!« Jean-François starrte sie an, woraufhin Marie den Kopf senkte und schwieg. Die Missbilligung in ihrem Blick entging ihm nicht.
Jean-François hob die Fremde vorsichtig auf seine Arme. Sie rührte sich nicht, gab jedoch ein leises Stöhnen von sich.
Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Sie war eine Schönheit mit langem silberblonden Haar. Ihre vollen Lippen luden geradewegs zum Küssen ein, doch Jean-François widerstand der Versuchung. Stattdessen wandte er seine Aufmerksamkeit dem Wald zu, um Verfolger oder Angreifer rechtzeitig bemerken zu können. Er warf einen Seitenblick zu
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