Wolfsmondnacht (German Edition)
er suchte, war nicht da. Er ging wieder hinaus und sog tief die nebeldurchsetzte Luft ein. Während er lief, ließ er seine Sinne streifen. Er spürte ihn, bevor er ihn am Ende der Straße erblickte. Jacques war allein. Kein Mensch war in der Nähe.
»Bonsoir«, sagte Jean-François. Jacques erschrak und wich zurück.
»Warum so schreckhaft, Jacques? Freust du dich nicht, mich wiederzusehen?«
Jacques Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Panik und Unglauben.
»Überrascht, mich zu sehen?« Jean-François tat einen Schritt auf ihn zu, Jacques wich zurück.
»Ich werde die Stadtwache rufen.«
»Tue das.«
»Du hast keine Angst, dass sie dich wieder festnehmen?«
Jean-François hob die Achseln. »Auch Angst wird mich nicht vor Rache abhalten. Valerie war schon tot, als ich gekommen bin. Du kannst nicht gesehen haben, dass ich sie ermordet habe. Warum hast du gegen mich ausgesagt, Jacques?«
»Du bist der Mörder!«
»Nur wir beide hatten die Schlüssel, Jacques. Nichts war beschädigt. Keine Tür, kein Fenster. Nur einer von uns beiden kann der Mörder sein.« Er packte Jacques am Kragen. »Warum, Jacques? Warum hast du Valerie getötet?«
»Ich …« Ein Schluchzen entrang sich Jacques’ Kehle. »Ich habe sie geliebt, mehr geliebt, als du dazu in der Lage bist, doch sie wies mich zurück. Ich bin nicht mehr so jung wie du Blender. Nichts ist hinter deiner Fassade, nichts.«
Jean-François spürte die Anzeichen. Seine neu gewonnenen Fähigkeiten, noch immer fremd für ihn, beherrschte er mittlerweile etwas besser. An der Art der Vibrationen in der Luft, der Veränderung der Ausstrahlung eines Menschen, erkannte er die Lüge. Jacques wusste etwas. Er packte ihn fester.
»Du lügst. Sage mir die Wahrheit und wage es nicht, zu schreien oder du bist schneller tot, als die Wachen hier sein können.«
Jacques zitterte. Speichel troff aus seinem Mundwinkel, wie Jean-François angewidert feststellte.
»Ich wollte nicht, dass sie stirbt«, sagte Jacques. »Ich wusste nicht, dass er sie töten würde. Ich wusste es wirklich nicht. Das musst du mir glauben.«
»Wer?« Jean-François schüttelte ihn, als er nicht antwortete.
»L’Approche.«
»So heißt niemand. Das ist die Bezeichnung für die Laufgräben bei einer Festungsbelagerung.«
»Ich würde dir den Namen sagen, wenn ich ihn wüsste.« Jacques sah ihn flehentlich an.
»Wie sah der Kerl aus?«
Jacques hob die Achseln. »Ganz gewöhnlich, mittelgroß und schlank.«
»Sehr genaue Beschreibung. War etwas auffällig an ihm? Eine Narbe? Ein Muttermal?«
»Weiß ich nicht. Er trug immer diese Kutte.«
»Was wollte der Kerl von Valerie? Und wie kommst du dazu, einen Fremden ins Haus zu lassen?«
»Er hat geklopft und ich habe ihn reingelassen. Er sagte, er sei ein Kunde.«
Jean-François umfasste Jacques Kehle. »Du lügst, Elender!«
» Non, non , es ist die Wahrheit.«
»Wie viel hat er dir für deinen Verrat bezahlt?«
»Nur ein Trinkgeld. Viel zu wenig für das, was er vorhatte. Ich hätte ihn doch nie zu Valerie gelassen, hätte ich das gewusst. Er sagte, er müsste zu ihr wegen einer Eilbestellung. Ich sagte, er solle auf dich warten, doch er wollte sie persönlich sprechen.«
Jean-François sah ihn an und wusste, dass er die Wahrheit sprach, doch wusste er auch, dass Jacques nicht über das eben erfolgte Gespräch schweigen würde.
»Weißt du, warum er mit ihr reden wollte?«
»Ich weiß es nicht. Bitte lasst mich gehen. Ich werde alles tun …«
»Alles?«
Hoffnungsvoll nickte Jacques.
»Stirb!« Jean-François brach ihm das Genick.
Jean-François musste nach Dôle, bevor L’Approche womöglich auch anderen Menschen, die ihm etwas bedeuteten, etwas antat. Er konnte nicht sicher sein, dass L’Approche es nur auf Valerie abgesehen hatte. Immerhin hatte diese Person sichergestellt, dass er der Hauptverdächtige war.
Feinde hatte er selbst genug. Konkurrenten, die sicherstellen wollten, dass er niemals wieder Fuß fasste. Die Katholiken und sonstige Hüter der Moral. Doch wer ging so weit, dass er jemanden tötete, um den Verdacht auf ihn zu lenken?
Sicherlich konnte es auch ein Feind Valeries oder Antoines sein, der ihn als ihren Geschäftspartner außer Gefecht setzen wollte, doch er konnte sich nicht darauf verlassen. Es war schon schlimm genug, dass er es nicht hatte verhindern können.
In einer menschenleeren Gasse erhob er sich in die Lüfte und flog nach Dôle. In Célestes Kammer brannte noch Licht. Er klopfte an die
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