Wolfsmondnacht (German Edition)
würde es zumindest noch schlagen. Erstmals hatte er einen Anflug von Moral und alles endete in einer Tragödie. Gerade diese Ironie schmetterte ihn nieder.
Er ergab sich den Wachen.
Das Gefängnis l’Albergaccio lag etwa drei Kilometer von den Stadtmauern entfernt in der Einöde. Auch Jacques und das Dienstmädchen kamen mit ihnen. Sie brachten sie in unterschiedliche Räume, um sie getrennt anzuhören.
In dem Zimmer, in das sie Jean-François führten, befanden nur ein Tisch und vier Stühle. Zwei Wärter standen neben der Tür.
»Monsieur Merdrignac, Ihr behauptet also, Madame Mascarello nicht getötet zu haben?«, fragte der Gefängnisleiter, der Jean-François gegenübersaß und ihn durchdringend anstarrte.
»Warum sollte ich so etwas getan haben?«
»Weil Ihr deren Geschäft übernehmen wolltet?
Jean-François schüttelte den Kopf. » C’est absurde . Ich bin von Monsieur Blanchard zur Unterstützung seiner Schwester nach Siena geschickt worden.«
»Signor Jacques Bureau sagte aus, dass Ihr der Signora Mascarello Avancen gemacht habt.«
»Es war eine rein geschäftliche Beziehung, sonst nichts.«
Der Wärter vollführte eine wegwerfende Handbewegung. »Soll ich Euch sagen, was ich denke, Merdrignac?«
»Wenn es Euch erleichtert.«
»Spart Euch Euren Zynismus. Ich halte Euch für einen Emporkömmling. Jacques weiß um Euren Ruf in Paris. Er sagte aus, dass Ihr dort der illegalen Prostitution nachgegangen seid und Unzucht mit Männern getrieben habt.« Einer der Wärter warf Jean-François verstohlene Blicke zu.
»Die französische Krone hat Euer Bordell, Eure damalige Einkommensquelle, geschlossen. Euer Versuch, als Kaufmann Fuß zu fassen, scheiterte kläglich, da Eure Fähigkeiten wohl recht einseitig ausgeprägt sind.« Der Gefängnisleiter lächelte süffisant und hob die Augenbrauen. »Durch eine Ehe mit Signora Mascarello wolltet Ihr Euren Stand dort sichern, bevor sie Eure mangelnden Kenntnisse als Kaufmann aufdeckt.«
»Das ist nicht wahr!«
»Signor Bureau sagte es.«
»Zur Hölle mit diesem Lügner!«
»Führt ihn ab!«, sagte der Gefängnisleiter zu den beiden Wärtern.
»Folgt mir in die Zelle«, sagte der Wärter, der ihm verstohlene Blicke zugeworfen hatte.
Jean-François lächelte kokett. »Was wollt Ihr mit mir allein in einer Zelle?«
Der Wärter wurde rot. Eine Zornesader schwoll auf seiner Stirn. Er und sein Kollege stürzten sich mit ihren Knüppeln auf Jean-François.
Jean-François schlug den ersten nieder. Der zweite erwischte ihn an der Seite. Jean-François krümmte sich. Stechender Schmerz ließ Tränen in seine Augen treten. Bevor er zum Bluttrinker wurde, hatte er Kampferfahrung gewonnen und gelernt, einiges wegzustecken. Er rammte dem Mann den Kopf in den Magen, woraufhin dieser zu Boden sank.
Geschickt wich Jean-François dem dritten Angreifer aus und stellte ihm ein Bein, sodass dieser hinfiel. Der andere Mann rappelte sich indes wieder auf. Jean-François verpasste ihm eine rechte Gerade. Die Wand gab ihm eine zweite und er sackte zusammen. Der dritte Angreifer erhob sich bereits wieder und wollte mit dem Knüppel auf Jean-François losgehen. Er verfehlte ihn.
Jean-François nutzte dessen Bewegungsmoment aus und trat ihm in den Magen. Er fiel vornüber. Der Gefängniswärter, der dies bislang beobachtet hatte, sprang von seinem Stuhl auf und stürzte sich mit einem Langmesser auf Jean-François. Dieser wich der Klinge aus, die knapp seinen Oberkörper verfehlte.
Jean-François verspürte Wut in sich aufsteigen, ließ sich jedoch nicht von ihr beherrschen. Er packte den Mann im Nacken und schlug ihn mit dem Kopf gegen die Wand. Der Mann brach bewusstlos zusammen.
Jean-François lauschte in den Gang hinein. Weitere Wachen kamen. Es waren etwa sechs oder sieben, gegen die er gleichzeitig antreten würde müssen. Jean-François blickte zum Fenster des Anhörungsraums, das nicht vergittert war, wohl, weil es darunter weit hinab ging. Er warf einen Stuhl hindurch. Gerade in dem Moment, als die Wachen den Raum stürmten, hechtete er durch das Fenster. Er sah noch ihre von Überraschung und Entsetzen verzerrten Gesichter, dann zog alles rasch an ihm vorbei.
Er befand sich im freien Fall. Selbst wenn er es nicht schaffte, zu fliegen, was eine noch ungewohnte Fähigkeit war, würde er den Aufprall überleben. Das hoffte er zumindest. Doch würde er entkommen können, wenn seine Knochen gebrochen wären?
Er kämpfte die Angst nieder und konzentrierte sich.
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