Wolfsmondnacht (German Edition)
ein schönes Haus, wenn es auch ein paar Renovierungen gebrauchen könnte.«
»Ich bekam es für einen Bruchteil des Preises, weil es keiner wollte.«
»Wer teilt sein Haus schon gerne mit einem Geist?«
»Solange er mir nichts zerstört oder schmutzig macht, ist mir das relativ gleichgültig. Ich bin schon mit anderen Dingen fertig geworden.«
»Wie du meinst. Ich hoffe nur, du weißt, was du tust.«
»Vertraue mir.«
An Alessios Blick erkannte er, dass er dies nicht tat.
Nächte später
Jean-François begleitete Alessio in den Palazzo Megliorati, in dem dieser residierte. Sein Blick fiel auf die lanziera di arme , den Waffen, mit denen die Familie einst gekämpft hatte. Eine Rüstung mit Schwert, eine Regimentsfahne, sowie ein vergoldetes Schild, hinter dem fächerförmig Speere angebracht waren. Jean-François wusste genug inzwischen über die venezianischen Sitten, um zu wissen, dass es nur in den Häusern der Familien alten Adels eine lanziera di arme gab.
»Warum arbeitest du als Meuchelmörder, wenn du zum alten Adel gehörst und dir all dies gehört?«, fragte Jean-François, der auf die Waffen deutete.
»Ich war bereits lange Zeit Meuchelmörder, bevor ich adelig wurde.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich wurde adoptiert.«
Jean-François hob eine Augenbraue. »Du bist also kein richtiger Adeliger.«
»Wann ist man etwas wirklich und wann nicht? Mein Blut ist adelig, doch in meinem tiefsten Inneren fühle ich mich nicht so.«
»Du bist also doch adelig geboren?«
»Warum ist das so wichtig für dich?«
»Ich bin nur neugierig. Ich möchte dich besser kennenlernen.«
Alessio sah in mit zusammengekniffenen Augen an. »Ah, und der Name meiner Geburt sagt dir, wer ich bin?«
»Die Familie und die Lebensumstände während der Kindheit prägen.«
»Ich wuchs im Waisenhaus auf, mein lieber Jean-François, da meine Mutter eine Nonne war. Die Klöster unterscheidet wenig von den Dirnenhäusern. Was sagt das über mich? Dass ich ein Niemand bin, ohne Vergangenheit und auf ewig entwurzelt?«
Jean-François schüttelte den Kopf. » Non , dies ist nur ein winziger Teil von dir. Zeig mir all deine anderen Gesichter.«
»Warum interessiert dich das?«
»Warum denkst du, habe ich dich am Leben gelassen?«
Alessio sah ihn einen Moment lang verwundert an. Schließlich hob er die Achseln. »Ich weiß es nicht. Es bedarf schon einer gewissen Ironie, seinen Mörder nicht zu töten, sondern ihm stattdessen ewiges Leben an seiner Seite zu verleihen.«
»Vielleicht tat ich es, weil ich eine verwandte Seele in dir erkannt habe?«
Alessio schüttelte den Kopf. »Das ist naiv. Du kannst niemanden innerhalb von Sekunden einschätzen. Auch nicht nach Tagen. Selbst nach Jahren musst du dein Bild über ihn stets anpassen, denn Menschen wandeln sich.«
»Siehst du. Das ist es, was dich von anderen unterscheidet. Du teilst nicht ihre festgefahrenen Ansichten.« Sein Blick fiel auf ein Porträt an der Wand. »Bist du das?« Jean-François trat näher an das Bild heran. » Non , die Augen sind dunkler als die deinen. Dein Vater?«
»Ja.«
»Willst du mir von ihm erzählen?«
»Wie soll ich dir von jemandem erzählen, den ich niemals gekannt habe.«
»Er starb, als du ein Kind warst?«
»Er lebte in Verbannung, schon lange, bevor ich geboren wurde.« Es lag so viel Verbitterung in Alessios Worten, dass Jean-François von weiteren Fragen absah.
Sie betraten einen der Salons. Alessio entzündete die Kerzen in einem der Leuchter. Weiße Rosen standen in einer Kristallvase auf dem Tisch. In den Nussbaumholzregalen reihten sich Schalen und Kleinode aus Muranoglas.
Ein Mann, seinem Auftreten nach zu urteilen, der Verwalter, betrat den Raum.
» Si , Frederico?«, fragte Alessio.
»Eine Siorina möchte Euch sprechen.«
»Führt sie herein.«
Kurze Zeit später trat ein Weib in den Salon. Als es seinen Schleier hob, kam ein herzförmiges Gesicht mit veilchenblauen Augen zum Vorschein. Das goldblond gelockte Haar trug sie offen. Es verzog seine Lippen zu einem scheuen Lächeln.
» Buona sera , Alessio«, sagte das Weib mit glockenheller Stimme. Unsicherheit lag darin.
Alessio trat auf sie zu in das Licht der Kerzen. »Cassandra, angela mia .”
»Alessio! Was ist mit dir geschehen? Du bist so anders.« Cassandra wich einen Schritt vor ihm zurück. Alessio trat mit ausgestreckten Armen näher zu ihr.
»Du bist nicht Alessio.« Cassandra wirkte sichtlich verstört.
»Wer soll ich sonst sein?«
»Ich weiß es
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