Wolfsmondnacht (German Edition)
jedoch sogleich.
»Ich will nur Cassandra!«
»Dann entführe sie, mach sie zu einem Bluttrinker und …«
»Sie will gewiss kein Bluttrinker werden, denn sie ist sehr gläubig. Würde ich es ihr aufzwingen, wäre ich ihres Hasses gewiss für die Ewigkeit.«
»Das Leben geht weiter. Wenn du sie schon nicht vergessen kannst, so überwinde es wenigstes.«
»Das kann ich nicht.«
»Dann, mein lieber Freund, bist du wahrhaftig verdammt.«
Am nächsten Abend
Als Jean-François am Tisch im roten Salon saß, vernahm er Schritte aus Richtung des Flures. Zuerst dachte er, es sei Alessio, doch der Rhythmus der Schritte war der einer anderen Person. Zudem klangen die Geräusche dumpf wie aus einer Gruft. Das war doch nicht etwa sein Freund, der Hausgeist?
Er erhob sich von seinem Stuhl und trat hinaus auf den Flur. Niemand war zu sehen. Die Schritte wichen einem Klopfen. Er folgte den Geräuschen, doch plötzlich wurde es still.
Möge dieser Geist einen anderen narren , dachte er, im Begriff, sich umzuwenden, da erklang ein lang gezogenes Heulen. Er eilte in den Raum, aus dessen Richtung das Heulen kam, doch er fand diesen leer vor. Das Heulen verebbte.
Er sah hinter die Möbel und Vorhänge, sogar in den Kamin und ließ seinen Blick über die Täfelung gleiten, doch konnte er nichts Verdächtiges entdecken. Wieder erklang das Heulen, diesmal noch schauderlicher als zuvor. Die feinen Härchen auf seiner Haut stellten sich auf. Sollte es hier tatsächlich spuken?
Jean-François lauschte noch eine Weile und glaubte etwas Dumpfes zu hören, einem unterdrückten Schnaufen ähnlich, doch schließlich blieb es still. Er ging zurück in den roten Salon. Kaum hatte er sich auf seinen Stuhl niedergesetzt, da vernahm er abermals Schritte. Sie waren so leise, dass sie einem menschlichen Gehör entgangen wären.
Er erhob sich und schlich sich in den Flur. Die Schritte erklangen aus der Richtung des Zimmers, in dem er zuvor nach dem Geist gesucht hatte. Er betrat den Raum. Die Schritte waren jetzt vom Flur aus zu vernehmen. Die Wand war erstaunlich dick, wohl wegen der Täfelung. Vielleicht befand sich auch ein alter, zugemauerter Schornstein dahinter, wie es bei betagteren Häusern gelegentlich vorkam. Es konnte jedoch auch einen anderen Grund dafür geben.
Jean-François ergriff den Schürhaken, der neben dem Kamin lehnte. Er war ein schweres Teil aus solidem Eisen. Mit Wucht schlug er damit auf die Wand ein und brach die Täfelung entzwei. Die Steine dahinter folgten schnell. Innerhalb von Sekunden tat sich ihm ein Hohlraum auf. Ein Geheimgang! Die Schritte erklangen erneut, doch diesmal hastiger.
Jean-François sah ein Flackern. Der Geruch nach ranzigem Fett trat in seine Nase. Jemand befand sich dort drinnen und war im Begriff, zu fliehen. Jean-François trat, den Schürhaken noch immer in der Hand, in den Geheimgang. Der Mann wenige Meter vor ihm trug eine dunkelbraune Maske, die nur Augen, Atemlöcher und den Mund offen ließ.
Seine Talglampe stellte er auf einen Mauervorsprung, um ein Messer nach Jean-François zu werfen, der sich schnell wegduckte. Der Mann fluchte leise. Er zog einen Knüppel und rannte auf Jean-François zu. Der Gang war zu eng, um auszuweichen. Sie kollidierten.
Jean-François fing den Schlag ab, indem er den Arm des Mannes mit der freien Hand ergriff. Durch seinen eigenen Schwung kugelte der Mann ihn sich selbst aus. Er ließ den Knüppel fallen und schrie vor Schmerz. Jean-François kannte keine Gnade und zog ihn hinter sich her aus dem Geheimgang heraus. Alessio ließ den Schürhaken fallen und riss ihm die Maske vom Gesicht.
Vor ihm stand Signor Bertolo, der Makler.
»Ah, wen haben wir da?«, fragte Jean-François. »Was treibt Ihr hier mitten in der Nacht?«
»Ich wollte nur nach dem Rechten sehen.«
»Aber gewiss doch.«
»Wegen des Geistes.« Signor Bertolo wischte sich mit der freien Hand Schweiß von der Stirn. »Ich wollte nicht, dass Euch etwas zustößt, so wie den beiden Vormietern.«
»Ja, natürlich. Deshalb geht Ihr mit Messer und Knüppel auf mich los.«
»Ich habe Euch für den Geist gehalten. Ihr seid so bleich.«
»Knüppel und Messer sollen äußerst hilfreich im Kampf mit Geistern sein, nicht wahr?« Er packte Bertolo mit der freien Hand am Kragen und zog ihn näher zu sich heran. Er stank widerwärtig nach Schweiß. »Soll ich Euch sagen, was ich denke?«
Bertolo nickte hastig.
»Ihr selbst seid der Geist und jagt die Mieter davon, um erneut von Signor Rocchi
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