Wolfsmondnacht (German Edition)
Jean-François ihm die Maske herunter. Sein Gegenüber zuckte mit keiner Miene, sondern starrte ihn mit kaltem Blick an.
»Wer ist Euer Auftraggeber?«
»Ich werde es Euch nicht sagen.«
»Selbst wenn ich Euch töte?«
»Das müsst Ihr erst einmal schaffen, doch dann werdet Ihr es niemals erfahren.«
Jean-François musste wider Willen lächeln. »Ihr trotzt dem Tod ins Angesicht. Beeindruckend.«
»Wer nichts zu verlieren hat, der hat auch keine Angst.«
»Und Euer Leben? Bedeutet Euch das denn nichts?«
»Kommt doch und nehmt es Euch.« Der Meuchelmörder warf sich gegen Jean-François und umfasste dessen Kehle mit stahlhartem Griff. Jean-François ergriff den Angreifer seinerseits und drängte ihn gegen die Wand.
»Warum sterbt Ihr nicht?«, fragte der Meuchelmörder sichtlich überrascht. Jean-François spürte dessen Angst, die sich jedoch kaum in seinem Blick abzeichnete. Der Mann lockerte den Griff um seine Kehle.
»Die Toten brauchen keinen Atem, Monsieur Mort . Ihr könnt mich erwürgen und mit allen Messern stechen, die ihr besitzt, und ich lebe dennoch weiter.«
Zum ersten Mal flackerte so etwas wie Furcht im Blick des Meuchelmörders auf. »Ihr seid so kalt unter meinen Händen. Was seid Ihr?«
Jean-François lächelte mokant. »Ich werde es Euch nicht sagen, sondern zeigen.« Er fixierte die Augen des Meuchelmörders, die sturmgrau wurden. Der Mann kämpfte noch gegen den Bann des Bluttrinkers an, da beugte Jean-François sich bereits über dessen Hals und biss zu. Er war nicht sein erstes Opfer in dieser Nacht, ein unerwartetes zwar, doch höchst willkommen.
Jean-François jedoch hatte nicht den Tod allein im Sinn, während er den Mann umfing. Er dachte an Amaël und die Faszination, die dieser offenbar für ihn empfunden hatte. War es ihm damals ähnlich ergangen, als er ihn in seinen Armen gehalten hatte? Er spürte des Mannes Herzschlag, der so stark war wie sein unbändiger Wille.
Gleichgültig gegenüber dem Tod mochte er sein, doch war etwas an ihm, das seinesgleichen suchte. Jean-François ließ von ihm ab, blickte in seine Augen, die nebelig waren von dem Bann, der auf ihm lag. Er beugte sich über den Meuchelmörder, der nun selbst zum Opfer geworden war.
Zypressenduft drang zu ihm hoch. Er roch auch den Mann darunter und sein Blut. Ein höchst anregendes Aroma. Er lehnte sich dichter an den Meuchelmörder. Nah bei seinem Ohr sprach er, sodass sein kalter Atem über ihn wehte.
»Dies war die erste Kostprobe des Todes, mon ami . Nun nehmt auch die zweite.« Er biss sich selbst in die Zunge und drückte seinen Mund hart auf den des Mannes, bis dieser sich ihm öffnete. Sogleich drang er mit seiner Zunge in ihn ein, bevor die Wunde darin sich schloss.
Sein Blut floss in dessen Mund und rann die Kehle hinab. Er schluckte widerwillig. Er spürte dessen Körper an dem seinen und drückte ihn noch ein wenig fester gegen die Wand. Sachte umfasste er das Gesicht des Meuchelmörders, ließ seine Finger durch sein langes schwarzes Haar gleiten. Er erbebte unter den Berührungen.
Als Jean-François seinen blutigen Kuss löste, atmete der andere heftig. Er wäre vornüber gekippt, hielte Jean-François ihn nicht noch umfangen. Die ersten Krämpfe setzten ein. Jean-François wusste, dass sie sich von der Leibesmitte her ausbreiteten. Die Nacht der Umwandlung vergaß man nie.
Er trug den Mann zu Bett, setzte sich neben ihn und nahm sein Taschentuch, um ihm den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Die Umwandlung war schmerzhaft. Sie verlief in Wellen, die den ganzen Körper durchströmten. Wogen aus Feuer und Eis, die einen bis an den Rand des Wahnsinns trieben und wieder zurück. Doch man wurde nicht verrückt und man starb auch nicht, zumindest nicht völlig.
»Es dauert nur wenige Minuten«, sprach er in das Ohr des Mannes. »Bald ist es vorbei.« Er strich ihm eine lange Strähne aus dem Gesicht. Der Mann starrte ihn an, als sähe er seinen eigenen Tod. In gewisser Weise war dem so.
»Keine Angst, du wirst nicht sterben. Nur dein Körper verändert sich und tauscht ein Leben gegen ein anderes. Ich werde dir alles erklären.« Von dem wenigen, das ich selbst weiß , fügte Jean-François in Gedanken hinzu.
Er lächelte dem Mann aufmunternd zu, beugte sich nieder und küsste ihn sachte auf dem Mund. Abermals tupfte er ihm den Schweiß aus dem Gesicht und hielt ihn umfangen, als der nächste Krampf ihn schüttelte. Er stöhnte leise auf.
»Schreie ruhig, wenn es dir hilft. Es ist keine
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