Wolfsmondnacht (German Edition)
zu.
»Kein Grund, mich zu bedrohen, Monsieur. Sagt mir, was Ihr wollt.«
»Ich will, dass Ihr sie heiratet.«
Jean-François spürte, wie ihm das fremde Blut aus dem Gesicht wich. Er erinnerte sich an Carinas Temperament. Frauen, die mit Messern nach ihm warfen oder Häuser anzündeten, standen auf seiner Liste potenzieller Ehefrauen nicht besonders weit oben.
»Ich schätze Bedächtigkeit beim Weibsvolk.«
»Das hättet Ihr Euch früher überlegen sollen, bevor Ihr sie geschwängert habt.«
Jean-François sah sein Gegenüber durch zu Schlitzen verengten Augen an. »Carina war ein leichtes Vögelchen, allzu einfach zu fangen gewesen. Gewiss spreizte sie nicht nur für mich ihre Flügel.«
Giacomettis Mund klappte auf und wieder zu. Ein Speichelfaden troff von seinem Kinn. Angewidert sah Jean-François weg.
»Ihr seid unverschämt. Ich verstehe nicht, warum Carina sich mit Euch einließ. Sie hätte einen Prinzen haben können.«
Jean-François hob eine Augenbraue. »Hat sie aber nicht.«
»Das wird Euch noch leidtun. Ich bin ein einflussreicher Bankier und unterhalte Beziehungen zur Monte dei Paschi di Siena.«
Jean-François erinnerte sich an dieses Bankhaus, an dem er einst mit Valerie vorbeigelaufen war. Doch dies beeindruckte ihn ebenso wenig wie Giacomettis Status.
»Ich kann Euch und Euer Geschäft ruinieren, wenn mir danach ist. Ich weiß, dass Ihr dieses Haus erst erworben habt. Es liegt in meiner Macht, Eure Kredite platzen zu lassen und zu verhindern, dass Ihr neue bekommt.«
Jetzt wurde Jean-François hellhörig. Wenn er etwas hasste, dann war es Erpressung. Er würde auf das Spiel eingehen. Vorerst.
»Das spricht natürlich für eine Heirat. Es geht nichts über nette Verwandte.«
Giacometti hob eine Faust und fuchtelte damit vor Jean-François herum. »Ich weiß nicht, was Carina an Euch fand. Sie muss betrunken gewesen sein.«
Sie war nüchtern gewesen, doch ihr geistiger Zustand reflektierte den ihres Vaters. Das verkniff sich Jean-François jedoch, laut auszusprechen.
»Ich habe bereits alles vorbereitet. Morgen ist die Verlobung.«
» Oui , Monsieur.«
Giacometti sah ihn überrascht an. »Ihr habt keine Einwände?«
»Warum sollte ich? Eure Argumente sind äußerst schlagkräftig.«
»Gut, ich werde Carina Bescheid geben und schicke Morgen den Notar zu Euch, um das Ganze zu regeln.«
Es wissen alle Bescheid: der Notar, der Priester und sämtliche Verwandten Giacomettis. Ich kann Alessio, den Auftragsmörder, nicht zu ihm schicken. Ich bin erledigt , dachte Jean-François.
Er lächelte Giacometti an. »Am Abend bitte.«
»Wie es Euch beliebt. Bis Morgen Abend.« Giacometti wandte sich um und stürmte hinaus.
Jean-François schüttelte den Kopf. Er blickte zur Treppe hoch, als er oben Schritte vernahm.
Alessio stand dort und grinste. »Darf ich dir zur Verlobung gratulieren?«
»Du wirst dich beherrschen.« Jean-François lief die Treppe hinauf. »Seit wann lauscht du schon? «
»So wie dieser Mann geschrien hat, müsste ich taub sein, um euer Gespräch nicht mitbekommen zu haben. Du weißt, dass das Kind nicht von dir sein kann.«
»Erzähle das Giacometti.«
»Du willst sie also wirklich heiraten?«
»Noch ist es nicht so weit. Bis dahin finde ich eine Lösung.« Er lächelte grimmig.
Kapitel 15
6. Juni 1572
Jean-François erhob sich von seinem Balkon aus in die Lüfte. Wie winzig die Straßen und Häuser aus der Höhe wirkten. Er wandte sich ab von der Stadt und flog gen Westen und hielt sich ganz leicht nördlich. In kurzer Zeit legte er eine weite Strecke zurück, bis er Chissey-sur-Loue erreichte, um sich dort ein Pferd zu leihen. Er hasste es, seiner Familie etwas vorzuspielen, doch es war nur zu ihrem Schutz. Vor allem galt es, die Bewohner Dôles zu täuschen. Diese wurden von Jahr zu Jahr misstrauischer.
Jean-François ritt durch die Finsternis. Er liebte die Nachtluft, die Gerüche nach Erde und Wald und die Geräusche der Wildnis rings um ihn herum. Er genoss das Gefühl des kühlen Windes auf seinen Wangen und in seinem Haar. Seitlich von ihm knackte es im Unterholz, als ein Fuchs vorbeischlich. Der Ruf eines Käuzchens hallte durch die Dunkelheit. Eine Eule fuhr aufgeschreckt in die Höhe. Hoch über Jean-François zog sie ihre Bahnen und verschwand in der Schwärze der Nacht.
Er ritt an schlafenden Dörfern vorbei: Chatelay, Germigney, La Vieille-Loye und Brevans. In den meisten Häusern brannte kein Licht mehr. Kaum Leben war zu dieser
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