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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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Seitenblick zu John wendete Adam den Wagen und steuerte auf die Straße zu, die uns zum Lake Portchartrain und zu den Sümpfen bringen würde.
    „Was ist mit deinem Akzent passiert?“, wollte er von John wissen.
    „Ich konnte nicht weiterhin wie du sprechen und erwarten, dass die Leute nicht eins und eins zusammenzählen würden. Vor allem nicht, nachdem Sullivan angefangen hatte herumzuschnüffeln.“
    „Gutes Argument. Trotzdem kann es nicht einfach sein, eine hundert Jahre alte Gewohnheit abzulegen.“
    „Ich hatte massenhaft Zeit hinter silbernen Gitterstäben, um zu üben.“
    Während ich ihnen zuhörte, zählte ich selbst immer wieder eins und eins zusammen. John war irgendwo in Montana eingekerkert gewesen. Es gab dort draußen irgendwelche Jäger, zu denen Adam offensichtlich gehörte. Und da war noch jemand namens Edward, den ich sehr bald treffen würde und der bei der ganzen Sache das Sagen hatte.
    „Du hattest einen Cajun-Akzent?“, riet ich.
    „ Oui “, bestätigte John.
    Ich dachte an die wenigen Male zurück, die er ins Französische abgeglitten war, an die ein oder zwei Begebenheiten, als er mich chérie genannt hatte.
    Die meiste Zeit war er sehr überzeugend gewesen und hatte ohne hörbaren Akzent gesprochen, dabei aber immer wieder ein spanisches Wort einfließen lassen. Mich chica zu nennen, hatte ein Übriges getan. Jetzt musste er sich nicht mehr verstellen.
    „Du sagtest, deine gesamte Familie sei tot.“
    „Ich habe vieles gesagt.“
    „Hast du ihr erzählt, wie sie gestorben sind?“, fragte Adam.
    „Du hast sie nicht ermordet, oder?“
    „Nicht direkt, nein.“
    „Die Männer in unserer Familie neigen dazu, sich ein Gewehr in den Mund zu stecken, um nicht zu werden wie er.“
    „Wie viele?“
    „Zu viele“, erwiderte John mit einer Stimme, die gleichzeitig gepeinigt und gleichgültig klang.
    „Sullivan hat John Rodolfo überprüft“, fuhr ich fort. „Er existiert.“
    Adam sah zu John, dann wieder auf die Straße. „Wie hast du das angestellt? Hast du den Mann gefressen und danach seine Identität angenommen?“
    „Nein, in diesem Fall nicht.“
    „Wie hast du es gemacht?“, bedrängte Adam ihn. „Du bist nicht gerade ein Computercrack.“
    Darauf hätte ich auch nicht gesetzt. Bei der Vorstellung, wie viel in der Welt passiert war, seit John lebte, drehte sich mir der Kopf. Ich begann mich zu fragen, ob die Unsterblichkeit wirklich ein Geschenk war.
    „Auch dabei hatte ich Hilfe“, erklärte John.
    „Edward hat seinen verfluchten Verstand verloren“, wetterte Adam.
    Wir schwiegen während der restlichen Fahrt zu den Honey-Island-Sümpfen. Es verging mindestens eine halbe Stunde, vielleicht auch mehr; mir war jegliches Zeitgefühl abhandengekommen. Hier draußen, jenseits des French Quarter, war der von Katrina angerichtete Schaden noch immer deutlich sichtbar. Zwar arbeitete man daran, einige der verwüsteten Orte wieder aufzubauen, andere hingegen wirkten, als wären sie nie berührt worden – außer von einem Hurrikan.
    Verlassene Wohnungen und Häuser, eingestürzte Wände und zerbrochene Fenster, so weit das Auge reichte. Hunderte von schlickgefüllten, weiß verstaubten, vor sich hinrostenden Autos unter den Straßenüberführungen. Verwaiste Malls, Wal-Mart-Supermärkte, McDonald’s-Restaurants. Gespenstisch leere Parkplätze und Straßen, auf denen sich nicht ein einziges Fahrzeug bewegte. Während wir daran vorbeifuhren, starrte ich fassungslos aus dem Fenster und musste mich beherrschen, um nicht zu weinen. Ich hatte die Zerstörung in den Nachrichten gesehen, trotzdem hätte mich nichts auf das hier vorbereiten können.
    Endlich fuhr Adam von der Hauptstraße ab, und wir bretterten über eine zweispurige Schnellstraße, bevor wir in einen langen Schotterweg einbogen, den Zypressen säumten, von deren Zweigen eigentlich Louisianamoos hätte hängen müssen, was es jedoch nicht tat. Allerdings wuchsen bereits neue Triebe, wo die alten ausgerissen worden waren – stachlige Ranken, die geschmolzener Stahlwolle glichen.
    Gleißend hell schob sich die Sonne über den Horizont und ließ die Tautropfen auf den Grashalmen wie Glühwürmchen funkeln.
    Ich hatte gelesen, dass Katrina den Sumpf dem Erdboden gleichgemacht hatte; hundert Jahre alte Bäume waren entwurzelt und wie Streichhölzer umhergeworfen worden, Hausboote bis zu ihren Decks im Schlamm versunken; viele wild lebende Tiere hatten den Tod gefunden. Für eine ganze Weile waren die Aasgeier die

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