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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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nieste.
    „Bring es zu Ende“, verlangte ich.
    Wenn er mich töten wollte, sollte er es tun, aber ich würde mich auf gar keinen Fall von einem Werwolf sexuell belästigen lassen.
    Sein Atem strich warm über meine Arme, meinen Oberkörper, meinen Hals. Sobald ich realisierte, dass ich die Augen geschlossen hatte, zwang ich mich, sie zu öffnen. Sullivans Augen starrten in meine und machten mich benommen. Es waren noch seine Augen, aber dahinter lauerte jemand, besser gesagt, etwas vollkommen anderes.
    Er wirkte besessen.
    Ich hatte nicht die Zeit, über das Warum oder Wieso nachzugrübeln; ich war zu sehr damit beschäftigt, meine letzten Gebete zu sprechen, bevor mich der Tod ereilte.
    Dann zerriss ein weiteres Knurren die Nacht. Sullivans Nackenhaare stellten sich auf, und er schwang seinen gigantischen Kopf herum; Geifer tropfte auf mein Gesicht.
    Ich konnte nicht erkennen, was da war, bis Sullivan um einiges schneller von mir runtersprang, als er zuvor raufgesprungen war. Langsam setzte ich mich auf, dann glotzte ich den zweiten Wolf an, der gerade aus dem Nebel auftauchte.
    Er war kleiner als Sullivan, sein Fell war dicht und schwarz. Die Augen waren hellblau, vielleicht auch grün oder hellbraun – dabei aber ebenfalls menschlich. Die Entfernung war zu groß, als dass ich sie hätte zuordnen können. Und wie auch? Ich war schließlich nicht mit sämtlichen Werwölfen der Stadt bekannt.
    Die beiden Wölfe umkreisten einander. Ich hatte gelesen, dass es aufgrund ihrer Rudelmentalität nur sehr selten zu Kämpfen zwischen Wölfen kommt. Ein Alpha-Paar dominiert die Gruppe, alle anderen gelten als Betas oder nachgeordnet. Jedoch schien es, als gehorchten Wölfe und Werwölfe nicht denselben Gesetzen.
    Ein weiteres hysterisches Lachen stieg in meiner Kehle hoch, und ich schlug die Hand vor den Mund, um es zu unterdrücken. Ich wollte keinen der beiden an meine Gegenwart erinnern. Allerdings schienen sie sich im Moment ohnehin mehr füreinander zu interessieren.
    Der goldfarbene Wolf stürzte sich auf den schwarzen. Gleich duellierenden Hirschen krachten sie aufeinander, nur dass bei ihnen anstelle von Geweihen Brustkörbe kollidierten, sie mit Zähnen schnappten und mit Krallen wüteten.
    Trotz des Größenunterschieds landete der schwarze Wolf die meisten Treffer. Er wirkte geübt in dem Spiel anzutäuschen, zu attackieren und seine Überlegenheit in Sachen Tempo und Wendigkeit zu seinem größtmöglichen Vorteil zu nutzen. Nichts von dem Blut, das spritzte, stammte von ihm.
    Der Kampf war brutal; sie kannten beide kein Erbarmen.
    Die Geräusche waren entsetzlich – das Knurren, dieses Reißen von Fleisch. Der Anblick war noch schlimmer: Zähne und Krallen, Speichel und Blut. Ich wollte die Augen abwenden, aber es gelang mir nicht. Wie oft im Leben bekam man schon die Chance, ein Duell zwischen Werwölfen zu beobachten?
    Ich hoffte, nur einmal.
    Der schwarze Wolf riss sich los und trottete ein paar Meter in Richtung Fluss. Sullivan keuchte schwer, sein Gegner hingegen nicht. Er hatte so etwas schon früher getan. Oft.
    Dann griff der schwarze Wolf von Neuem an. Er stürzte sich auf den blonden, schloss die Zähne um dessen Hals und trieb sie hinein. Sie gingen gemeinsam zu Boden.
    „Nein“, schrie ich, mich daran erinnernd, dass der hellere Werwolf Sullivan war. Ich wollte nicht, dass er starb, oder etwa doch? Konnte er wieder zu dem werden, der er gewesen war? Konnte er überhaupt ohne Silber getötet werden?
    Ich klappte den Mund zu, aber der schwarze Wolf hatte mich gehört. Er hob den Blick, ließ den Kiefer jedoch weiter warnend um Sullivans Hals geschlossen. Auch wenn ich seine Augen nicht erkannte, sah ich in ihnen nicht den Wahnsinn, den ich in Sullivans Blick erkannt hatte – nichts von dem Zorn, dem Hass, der Gier nach Blut. Dieser Wolf schien anders zu sein.
    Er gab Sullivan frei, blieb allerdings über ihm stehen, bis der größere Wolf in einer Geste der Unterwürfigkeit den Blick abwandte. Auch als Sullivan sich auf die Pfoten rollte, hielt er dabei weiter den Kopf gesenkt, die Schultern eingezogen. Er war besiegt, und er wusste es. Ein tiefes, grollendes Knurren aus der Kehle des schwarzen Wolfs genügte, und Sullivan trollte sich mit eingekniffenem Schwanz in den Nebel.
    Kaum dass er verschwunden war, bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Wollte ich wirklich, dass ein irrer Werwolf, ein besessenes, ehemals menschliches Wesen frei in der Mondsichelstadt herumlief? Vielleicht hätte ich dem

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