Wolfsruf
Einladung ausgeschlagen hätten, wäre das mindestens ebenso auffällig gewesen. Wir dürfen die einflussreichen Männer von Deadwood nicht vor den Kopf stoßen. Jedenfalls nicht, bevor wir wissen, wen wir beeinflussen können und wen wir … auslöschen müssen.«
Es stimmte, dass Natalia unweigerlich Aufmerksamkeit erregte. Sie trug ein perlenbesticktes Rüschenkleid aus scharlachrotem Satin, darüber ein Jäckchen aus demselben Material und ein Nerzcape. Ihr Gesicht war unter einem roten Schleier verborgen, denn anders ließ sich der Streifen Wolfspelz nicht tarnen, der ihr Gesicht entstellte. Zusätzlich schloss ihr Cape mit einem aufgestellten Kragen ab, dessen Färbung genau zu der ihres Fells passte. Natalia war eine so auffällige Erscheinung, dass sie bereits im Vorraum, bevor sie den Tanzsaal betreten hatte, von allen Anwesenden mit offenen Mündern bestaunt wurde.
Ein katholischer Priester stand am Eingang, empfing die Gäste und überprüfte ab und zu eine Liste, die er bei sich trug. Das Portal war mit Bändern verziert - rot, weiß und blau -, und die rohen Dielenbretter waren mit Blütenblättern bestreut.
Als sie näher kamen, hörten sie den Priester sagen: »Bitte lassen Sie ihre Waffen hier beim Deputy.«
Neben dem Eingang stand ein mit Blumen dekorierter Tisch, wo ein korpulenter Mann Waffe um Waffe abgab.
Nachdem der Dicke endlich alle Waffen abgelegt hatte - alle sichtbaren zumindest -, waren Vishnevsky und seine Cousine an der Reihe. Vishnevsky hatte vorausschauenderweise nur ein Paar Derringer mitgenommen, die in beiden Hemdärmeln steckten. Der Hilfssheriff winkte ab.
»Wir bleiben nur so lang, wie es die Höflichkeit gebietet«, murmelte Vishnevsky. Der Graf von Bächl-Wölfling sollte erst in ein paar Tagen eintreffen, und Vishnevsky war nicht ganz so zuversichtlich wie seine Cousine. Die Entdeckung, dass bereits andere von ihrer Gattung in diesem Territorium lebten, hatte ihn zutiefst verunsichert. »Selbst wenn die Errichtung der neuen Stadt wie geplant voranschreitet«, erklärte er ihr, »könnte etwas dazwischenkommen. Wir haben Winterreise so unzugänglich wie möglich angelegt, weitab von der Straße zwischen Deadwood und Cheyenne und fast am Rande des Sioux-Territoriums. Aber es gehen bereits Gerüchte um, dass dort Gold zu finden sei, und wir können nichts tun, um sie zu widerlegen … vor allem, wenn die Menschen sehen, wie vornehm du dich kleidest, meine liebe Cousine.«
»Wir müssen hierbleiben. Ich muss diesen berühmten Helden Sanderson, den Major ohne Skalp, persönlich kennenlernen.«
»Es ist wichtig, dass wir ihn sehen. Dein und mein Herr wird eine Beschreibung brauchen.«
»Sieh mal! Dieser Eisenbahner, Monsieur Grumiaux!« Natalia deutete zum Eingang.
Grumiaux trug einen fast schäbigen Frack. An seinem Arm führte er eine schlanke Chinesin. Ihr rosafarbenes Spitzenbaumwollkleid war zwar gut erhalten, aber mindestens fünfzehn Jahre alt, denn es hatte noch einen Reifrock.
»Ah, Valentin Nikolaievich«, begrüßte er die beiden Russen auf Französisch. »Und Natalia Petrowna. Ich hatte Sie hier gar nicht erwartet. Man hört, dass Sie neue Städte bauen.«
»Ich habe es dir doch gesagt«, flüsterte Vishnevsky Natalia auf Russisch zu. »Diese Leute ahnen etwas … selbst wenn die Wahrheit zu unglaublich ist, dann vermuten sie doch irgendetwas .«
Ohne ihm Beachtung zu schenken, sagte Natalia: »Est-ce que c’est votre femme, Monsieur Grumiaux? Elle est vraiment charmante.«
Grumiaux verbeugte sich, und seine Frau knickste. Die beiden Männer reichten sich mit ernster Miene die Hand, dann wollte Grumiaux seine Waffen beim Deputy abgeben.
»Ich bitte um Verzeihung, Sir, aber … wir können sie hier nicht reinlassen.« Der Deputy schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen, er starrte die Chinesin an. »Dies ist eine christliche Kirche, und … nun, sie ist … also sie ist eine Heidin.«
»Ach so«, erwiderte Grumiaux. »Aber ich habe eine Einladung für Mr und Mrs Grumiaux erhalten.« Er zog aus seiner Westentasche eine wunderschöne Karte mit Prägeschrift und Goldrand. »Nirgendwo war etwas über den religiösen Glauben meiner Frau zu lesen. Dies ist ein katholisches Haus, nicht wahr? Trotzdem sehe ich …«, er schielte an dem Sheriff vorbei in den Kirchensaal, »… Presbyterianer, Mormonen, sogar, Gott sei uns gnädig, eine Jüdin!«
»Sie wissen, was ich meine, Franzose. Wenn wir zulassen, dass sich Nigger und Chinesen unter uns Weiße
Weitere Kostenlose Bücher