Wolfsruf
geschleudert wurde.
»Habe ich nicht eben etwas fallen hören?«, fragte er. Er wandte sich zu dem Zeitungsburschen um, der in der Ecke stand und mit seinem jungen Freund schwatzte. »Bursche! Der Baronin ist etwas hinuntergefallen; du bist klein, also krabbel schnell unter den Tisch und heb es für sie auf.«
Der Junge gehorchte und tauchte mit einer Spielkarte wieder auf.
»Verzeihen Sie, Madam«, sagte der Junge. »Das muss Ihnen aus dem Rock gerutscht sein …«
»Jetzt verstehe ich!«, ereiferte sich Claggart. »Sie haben eine zusätzliche Tasche in ihren Rock eingenäht, Madam! Die Damen heutzutage … ich habe sie noch nie verstanden. Sie beschuldigen mich, falsch zu spielen, wo Sie selbst ein Ass in Ihrem Unterrock tragen!«
»Aber es ist kein Ass, Mister Claggart«, widersprach der Junge. »Es ist die Pik-Königin.«
Aber Claggart war ganz sicher gewesen, dass er ein Ass - plötzlich begriff er, dass die Baronin tatsächlich die ganze Zeit über falsch gespielt hatte. Er begann herzhaft zu lachen, und die Baronin fiel ein, keckernd wie eine alte Hexe.
»Was war das eben?«, fragte Johnny seinen Kumpel, als sie beide tabakkauend auf dem Trittbrett zwischen zwei Waggons saßen und die Beine durch die Gitter baumeln ließen.
»Pass auf.« Teddy zog eine Handvoll Münzen aus seiner Tasche. »Mister Claggart zahlt, damit ich ihm helfe und die anderen Spieler ablenke, verstehst du? Aber ich bevorzuge niemand, und das Geld der Baronin ist gerade so gut wie Mister Claggarts.«
Johnny staunte. »Das heißt, du hast dich von beiden bezahlen lassen, weil du ihnen helfen solltest, sich gegenseitig zu betrügen?«
»Ich weiß. Wahrscheinlich wollen sie mich jetzt beide umbringen … aber ich brauch’ das Geld. Ich will nicht, dass mein Pa mich für einen armen Schlucker hält. Wenn ich ihn finde. Ich will, dass er stolz auf mich is’.«
Er sprach mit tiefem Gefühl; Johnny ahnte, dass er eine Menge unausgesprochen ließ. »Was kommt als Nächstes?«, fragte er.
»Grand Island … ein paar Büffeljäger kommen an Bord, und wenn wir einer Herde begegnen, dann werden sie uns ihre Fähigkeiten demonstrieren. Die U. P. bezahlt sie für den Auftritt.«
»Und wann kommen wir in Cheyenne an?«
»Kommt ganz drauf an. Hast du gewusst, dass es zweihundertdreißig Bahnhöfe zwischen Omaha und Sacramento gibt?«
Johnny schlich sich fort und gelangte in den Wagen der Zweiten Klasse, wo er den alten Indianer gesehen hatte.
Er war immer noch da. Johnny setzte sich neben ihn. Die
Sonne ging unter. Johnny löste seine Krawatte und gab sie dem Indianer. Der Indianer zog die Feder aus seinem Haar und reichte sie Johnny.
Der Indianer sagte: »Wir werden uns im Hohen Land wiedersehen. Du siehst mich jetzt, aber ich bin hier nur im Geist, als ein Traum. Ich bin gekommen, um dich zu begrüßen, mein Bruder, und um dich im neuen Land willkommen zu heißen.«
Verwundert entgegnete Johnny: »Sie sprechen aber ausgezeichnet Englisch!« Erst nach einigen Augenblicken wurde ihm klar, dass der alte Mann kein einziges Mal den Mund geöffnet hatte. Er hatte in einer anderen Sprache zu Johnny gesprochen - eine Sprache der Gesten, der Berührung, des Geruchs.
»Er hat zu mir gesprochen, nicht zu dir!«, mischte sich eine Stimme in seinem Kopf ein. »Das ist die Tiersprache, du Idiot! Du verstehst sie nicht einmal. Du weißt nur, was er sagt, weil ich zufällig zuhöre.«
»Lass mich in Ruhe, Jonas!«, flüsterte Johnny energisch.
Jonas lachte.
Claggart überraschte den Zeitungsjungen, als der eben versuchte, das Schloss seines Koffers zu knacken. Zornig schlug er den Knaben. »Du willst mich also bestehlen! Ich sollte dich hängen lassen.«
»Ich wollte bestimmt nichts stehlen, Sir …« Der Junge sah wirklich schuldbewusst drein, entschied Claggart. »Ich hab nur gehofft, dass Sie mir vielleicht Ihr … Geheimnis zeigen.«
Verdammt! Als er den Jungen geschlagen hatte, war sein Ärmel aufgerissen, und jetzt war die Stahlklaue seines Geheimverstecks zu sehen! Und der Junge hatte sie bereits bemerkt. Er starrte sie mit großen Augen an - bewundernd.
»Willst du Spieler werden?«
»Ich zahl’ Ihnen alles Geld zurück, das Sie mir gegeben haben, wenn Sie mir ein paar von Ihren Tricks zeigen.«
»Ich brauche kein Geld, Bursche. Und vergiss nicht, ich könnte dich anzeigen.« Claggart musterte den Jungen streng, der vor Angst zitterte. »Aber es ist immer gut, einen Lehrling zu haben. Außerdem könnte ich auf diesen
Weitere Kostenlose Bücher