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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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langen Eisenbahnfahrten etwas Abwechslung gebrauchen, wo meine Frau doch so weit weg ist.« Er zog eine Augenbraue hoch.
    »O bitte, Sir! Ich will mich nicht bohnern lassen!«
    »Lüg mich nicht an, Kerl. Ich weiß, dass du bei den Sioux gelebt hast, und die Rothäute bohnern ihre Feinde grundsätzlich. Um ihnen ihre Verachtung zu demonstrieren. Ein Halbblut in deinem Alter hat wahrscheinlich schon alles gefickt, was sich überhaupt bewegt, seine eigene Mama eingeschlossen. Aber das will ich gar nicht. Ich will, dass du dich ein bisschen für mich umhörst.«
    »Sir?«
    »Dein kleiner Freund … er hat doch etwas mit dem Grafen zu tun, nicht wahr?«
    »Er ist eine Waise, Sir. Aber der Graf behandelt ihn wie seinen eigenen Sohn. Ich hab ihn schon gefragt, ob er mit dem Grafen … Sie wissen schon …, aber er hat so getan, als würd’ er mich nicht verstehen.«
    »Ich möchte, dass du so viel wie möglich über die Fremden herausfindest. Zapf den kleinen Lustknaben des Grafen nach Informationen an.«
    »Ich werde mein Bestes tun, Mister Claggart.«
    »Gut. Dann werde ich dir jetzt gleich etwas zeigen, wenn du möchtest.« Er nahm seine Karten heraus, mischte sie, warf sie in die Luft, ließ sie zwischen seinen Händen tanzen, warf sie wieder hoch, zog die Asse im freien Fall aus dem Stapel.
    Der Junge staunte mit offenem Mund.
    »Aber bevor ich dir deine erste Stunde gebe, musst du mir helfen, mich zu entspannen.« Er begann, seine Hose aufzuknöpfen.
    »Bitte, Sir …«

    »Vergiss nicht, dass ich dich beim Stehlen erwischt habe, Bursche! Und wenn du kein Dieb bist, dann bin ich auch kein dreckiger Sodomit.«
     
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Speranza, dass es auf dieser Reise zu irgendwelchen Zwischenfällen kommen könnte; es sind noch fast zwei Wochen bis zu unseren nächsten … ähm … Feierlichkeiten«, sagte der Graf, nachdem er die Erzieherin in einer Ecke des Salonwagens entdeckt hatte, wo sie in ihrer Bibel las.
    Sie waren allein, denn fast alle Passagiere der ersten Klasse hatten sich im Casino-Wagen versammelt, wo sie plauderten oder ihr Glück versuchten.
    »Aber es gibt andere Mysterien, die wir vielleicht gemeinsam feiern könnten«, fuhr der Graf fort. Und er nahm ihr Kinn in seine Hand, sodass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.
    »Ich sollte Sie vielleicht daran erinnern, Graf, dass Ihre Geliebte Sie im Dakota-Territorium erwartet; und dass ich nicht Ihre willenlose Sklavin bin. Ich trage nicht Ihr Zeichen, ich muss mich nicht fügen, wenn Sie …«
    »Ich habe eine schreckliche Schwäche, Speranza, die mich schon oft in arge Schwierigkeiten gebracht hat … ich habe viele Frauen geliebt. Ein- oder zweimal liebte ich eine Frau so leidenschaftlich, dass ich sie zu einer der unseren gemacht habe … aber irgendwie ist es danach nicht mehr dasselbe … Genauso war es auch mit Natalia. Die Flamme … ist erloschen. Ich fühle mich … zu einer anderen hingezogen.«
    Seinen ersten Kuss erwiderte sie nicht. Sein zweiter war drängender, verlangender. Sie gab ihm ein bisschen nach, schloss die Augen, versuchte, die Erinnerung an jene grauenhafte Nacht im Zug nach Wien zu verdrängen. Er schmeckte nach Herbstlaub, nach feuchter Erde. Sie wusste nicht, ob das Gefühl, das sie für ihn empfand, Liebe war oder bloß Begehren
nach seiner bestialischen Natur. Ohne Warnung kamen ihr die Tränen; sie weinte leidenschaftlich, unbeherrscht.
    »Sind das Freudentränen? Oder Tränen der Trauer?«
    »Ich bin schamlos!«, schluchzte Speranza, die endlich begriff; sie hatte immer schon gewusst, dass sie sich ihm eines Tages hingeben würde, hatte es von dem Augenblick an gewusst, an dem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
    »Es gibt etwas in uns, das tiefer liegt als jede Scham … als alle repressiven Fallen unserer zivilisierten Gesellschaft. Die Menschen sperren ihr tierisches Wesen ein … wie eine Frau ihren Körper in einem Fischbeinkorsett einzwängt. Nur wir Werwölfe sind frei von diesen Zwängen … wir sind lebendiger als sie alle … denn wir tanzen den Tanz des Lebens und des Todes!«
    Er küsste sie ein drittes Mal. Alle Leidenschaft, die sie so tief in sich begraben geglaubt hatte, brach an die Oberfläche. Sie zog ihn in ihre Arme. Wen kümmerte es schon, ob sie eine gefallene Frau war? Sie waren in einem neuen Land - einem wilden Land, weitab von jeder Zivilisation.
    Vielleicht kann ich ihn ändern, dachte sie, denn sie erinnerte sich an die Geschichte von der Schönen und

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