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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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sich nicht beherrschen, ihr zuzurufen: »Ina, ina!«, wie ein kleiner Junge, der um eine Süßigkeit bettelt.
    Es war zu spät, sich noch zurückzuziehen. Der weiße Mann erblickte die Frau, und sie schaute betreten zu Boden.
    »Ich werde dich beschützen, Little Elk Woman.«
    »Ja, Zeke.«
    Teddy kannte diesen Mann. Ein- oder zweimal hatte seine Mutter über einen anderen Weißen gesprochen, einen Freund und Rivalen seines Vaters. Deshalb rief er seine Mutter noch einmal und watete durch das Wasser zu ihr hinüber.
    Der alte Mann hörte zu spielen auf.
    »Mutter …« sagte Teddy. So viele Gedanken wirbelten durch seinen Kopf - die lange Trennung, Reue, der alte Streit. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Er sagte auf Lakota zu ihr: »Etwas Schreckliches wird geschehen. Weiße werden zu Shungmanitu. Sie wollen euer Dorf angreifen. Hechitu welo! « Er zitterte, denn
das Wasser im Bach war eiskalt gewesen. Sie kam auf ihn zu, legte einen Teil ihrer Decke um ihn. Vertraute, lang verlorene Gerüche stiegen aus dem Gewebe auf.
    Ich weiß nicht, warum ich fortgelaufen bin, dachte er. Ich war ein Narr. Sie liebt mich. Niemand hat mich geliebt, als ich bei der Eisenbahn arbeitete. Nicht einmal, wenn sie mit meinem Körper dreckige Sachen gemacht haben, fünf Minuten nachdem sie vom Priester gekommen sind.
    »Wenn das nicht der Kleine dieses alten Bastards Grumiaux ist!«, sagte Zeke Sullivan. Und kam näher.
    Er ist jetzt ihr Mann, dachte Teddy. Hoffentlich will er nicht, dass ich ihn Daddy nenne. Aber er ist wie ich, er versucht, zwischen den zwei Welten zu wandern. Vielleicht versteht er mich sogar besser als ihr alter Indianermann.
    Teddy schaute seine Mutter und den Fremden an. Instinktiv zog er sich in die Falten der alten Decke zurück, in die Arme seiner Mutter. Und er hob die Hand, als wollte er einen Schlag abwehren.
    Aber Zeke sagte nur: »Ich bin froh, dass du heimgekommen bist, Kleiner. Deine Mutter war krank vor Sorge um dich.«
    Und seine Mutter sagte: »Mein Sohn, du musst hungrig sein«, als wäre er niemals fortgewesen.
    Der alte Mann begann nicht wieder zu spielen, sondern schaute sie alle drei merkwürdig an. Er schnupperte dreimal. Dann sagte er: »Ich rieche Angst. Ich rieche Zorn. Ich rieche die Jäger.« Er ließ sich auf alle viere fallen, streckte seinen verwitterten Hintern dem Mond entgegen. Er scharrte im Boden, vergrub seine Nase im Erdreich. Er drehte den Kopf zur Seite, als würde er fernen Stimmen lauschen.
    Da kam das ferne Heulen wieder. Teddy spürte, wie seine Mutter zitterte. »Das Heulen klingt falsch«, sagte Little Elk Woman, »deshalb habe ich dich gesucht. Es sind keine echten Wölfe.«
    »Das is’ verdammt wahr!«, bestätigte Teddy. »Es sind Werwölfe
… einer wie der andere -, all die komischen Ausländer im Zug.«
    »Das hat Harper also gemeint …«, sagte Zeke. Teddy wusste nicht, von wem er sprach, aber er schien besorgt. Auf Lakota ergänzte Zeke: »Ich hatte einen Freund, und mein Freund hatte eine Vision, obwohl er ein Weißer und ein Soldat war. Und danach waren wir nie wieder so gute Freunde wie zuvor.«
    Der alte Mann sah vom Waldboden zu ihnen auf. Sein Gesicht war mit feuchtem Laub bedeckt. Er nahm die Flöte mit dem Mund vom Boden auf und schleuderte den Kopf zurück, sodass das Instrument in hohem Bogen wegflog, dann setzte er ihm nach und fing es mit der ausgestreckten Hand wieder auf. Und seine Fingernägel sahen aus wie Krallen. Die drei schauten ihm zu. Wieder hörten sie das Heulen. Der alte Mann erwiderte es. Seine Augen wurden schmal. Sie glühten.
    Dann eilte der Alte durch das Laub, wirbelte es auf, verteilte es. Der Wald roch nach - Teddy erinnerte sich daran, wie eine Dame aus Boston ihm einen halben Dollar dafür gezahlt hatte, dass er seine Zunge in ihr Unaussprechliches steckte und langsam hin und her schleckte, während sie sich in den schaukelnden Sitz zurücklehnte und der Zug an Grand Island vorbeirollte. Genauso roch der feuchte Boden. Wie eine Frau zwischen ihren Beinen. Es hatte damals auch Blut gegeben, geronnenes auf den Spitzen ihrer Unterhose, glitschiges auf seiner Zunge.
    Und der alte Mann - immer wieder heulte er, während er über den Waldboden krabbelte, viel graziöser, als ein alter Mann krabbeln konnte, und Zweige und Dreck aufwühlte. Natürlich, der alte Mann war einer von ihnen! Teddy schrie: »Ich wollte euch warnen, aber da is’ schon einer von ihnen, der sich gleich vor unsern Augen in ein Monster

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