Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
Vom Netzwerk:
wollten mir etwas sagen, das weiß ich genau.«
    Der Graf, der Wolfskönig, drehte dem Flammenkreis den Rücken zu. Er glitt mit hoch erhobenem Schweif auf das Dorf zu, und einer nach dem anderen folgten ihm die Wölfe durch den Bach.
    Teddy wollte ihnen nachlaufen, aber der alte Indianer packte ihn und ließ ihn nicht los. »Viele werden sterben«, sagte er.
    »Chéyewakinicha«, antwortete der Alte.
    »Was meint er?«, fragte Scott heiser vor Fieber.
    »Er sagt, er kann seine Tränen kaum zurückhalten«, erklärte Teddy. »Aber keiner von uns darf den Kreis verlassen. Sonst holen uns die Werwölfe.«
    Die Wölfe hatten das Dorf erreicht. Teddy konnte die Schreie vernehmen. Er zwang sich wegzuhören.
    Sie kauerten sich zusammen, alle vier, während der alte Mann weitertanzte. Und dann sah Teddy noch jemanden auf den Bach zukommen, dort, wo die Wölfe aufgetaucht waren. Sie stand hinter dem Kadaver des Palomino. Teddys Pferd war ebenfalls erledigt; es lag leblos neben der Kiefer, an der es angebunden gewesen war. Als der Kavallerist die Frau sah, schien er vollkommen den Verstand zu verlieren.
    »Natalia!« Er konnte kaum sprechen; die Worte entrangen sich seiner Kehle wie der eines Sterbenden. Er begann aus dem Kreis zu taumeln.

    »Geh nicht aus dem Kreis!«, flüsterte Zeke ihm mit rauer Stimme zu und versuchte, ihn aufzuhalten. »Teddy, halt ihn fest!«
    Teddy bekam einen Zipfel seines Hemdes zu fassen, aber es zerriss in seiner Hand. Es war blutdurchtränkt. Scott stolperte auf die Frau zu. Teddy erkannte sie wieder. »Gehen Sie nicht zu ihr!«, rief er. »Sie ist die Leitwölfin, die Geliebte des Grafen, und Sie sind nur ein Mensch …«
    Natalia Petrowna lächelte ihn an. Ihr Gesicht war zur Hälfte pelzbedeckt, aber sie stand immer noch aufrecht. Warum hatte sie sich nicht im Mondlicht verwandelt? »Gehen Sie nicht hin!«, schrie Teddy, aber Scott hatte den Bach bereits erreicht und watete durch das Wasser auf sie zu.
    »Halte ihn nicht auf«, sagte der alte Mann. Aus dem Dorf glaubte Teddy die Schreie eines Kindes zu hören, dem die Gliedmaßen ausgerissen wurden. »Er ist schon tot.«
    Scott sagte: »Madam, hier ist kein Ort für Sie, unter all den Wölfen und Indianern …«
    Natalia Petrowna breitete die Arme aus, um den Soldaten zu begrüßen. Ihr schwarz-rotes Kleid raschelte im Wind. Wie das Gras, wie die Baumwipfel. Im Mondlicht glühte ihr Lächeln fast phosphoreszierend, und ihre Zähne glitzerten wie kleine Dolche.
     
    In einem anderen Kreis, südlich des Waldes, auf einer Anhöhe über der verlassenen Prärie stand Speranza, die Bibel unter dem Arm. Um sie herum eilten geschäftig die Bediensteten, die alles für die Rückkehr ihrer Herren vorbereiteten. Sessel und Sofas wurden wieder auf die Planwagen verladen. Im Fackelschein spielte ein Butler mit zwei Stubenmädchen Karten.
    Vishnevsky beobachtete sie aus einem Wagen heraus. Sie ertrug seinen Blick kaum. Sie wusste, dass sein Schicksal mit dem von Natalia Petrowna verknüpft war. Wie sehr musste er sich quälen, das Elend seiner Cousine mit anzusehen, dachte sie.
Und doch ist er ein Mensch wie ich, selbst wenn er das Siegel auf seiner Hand trägt. Er muss sich nach dem Ende seiner Knechtschaft sehnen.
    Ein Lakai näherte sich ihr; er trug ein Tablett mit Glühwein, etwas Suppe und einem Brot. Er verbeugte sich und sagte: »Gnädiges Fräulein, Sie können den Schutzkreis beruhigt verlassen. In etwa drei Stunden wird der Mond untergehen; und es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Herrschaften mit ungestilltem Appetit zurückkehren. Außerdem sind Sie nicht nur durch den Kreis, sondern auch durch den ausdrücklichen Befehl des Grafen geschützt.«
    Speranza trat aus dem Kreis. Der Lakai stellte ihr einen Stuhl im Schatten eines Wagens auf. Ein Feuer knisterte. Sie hörte den Butler und die Stubenmädchen lachen. Sie setzte sich und schlürfte die Suppe. Es war eine herzhafte Brühe mit Wildbretwürfeln und gehackten Karotten; der Wein stammte aus Frankreich. Sie wollte sich mit jemandem unterhalten, aber die Diener mieden sie. Sie fürchten mich, dachte sie. Weil ich vielleicht bald ihre Herrin werde - weil ich vielleicht auch der Versuchung nicht widerstehen kann, Lykanthrop zu werden.
    In diesem Augenblick bemerkte sie eine Gestalt, die sich den Hügel hinaufkämpfte und ihr zuwinkte. Es war kein Diener, und es konnte auch kein Wolf sein, denn die hatten alle das Lager verlassen; selbst Natalia Petrowna, die Schwierigkeiten bei der

Weitere Kostenlose Bücher