Wolfsruf
Nüstern bedeckte und das Fell seiner Wangen verklebte. Süß, süß und warm. Fröhlich bellte er, als das Blut, das Lebensfeuer dieser Frau, herausspritzte. Er badete darin, wurde neu geboren.
Nur einen winzigen Augenblick lang hörte er die anderen Stimmen in seinem Kopf, die herausgelassen werden wollten. Aber er war zu stark. Er war mitten in seiner Familie, er war stark, und die Frau, die immer zu den anderen hielt - sie war weit weg. So sollte es sein.
Dann legte sein Vater den Kopf in den Nacken und heulte
im Blutrausch, und bald heulten sie alle, und sie drängten sich an die Seite des Tipis, bis die Zeltstangen zerbrachen und die Felle in Flammen aufgingen, Flammen, die das trockene Gras weitertrug durch das Lager bis zu den anderen Tipis.
Ein brennender Mann stürzte aus einem Zelt, und das Rudel heftete sich an seine Fersen, während er versuchte, das rettende Wasser zu erreichen. Die Wölfe waren schneller als ein Sturzbach. Als der Mann hineinfiel und das Wasser um ihn herum zischte, umringten sie ihn jaulend, zerrten an ihm, bissen Stücke aus seiner Wange und aus seiner Kopfhaut heraus, und er sah, wie Pater Alexandros einen Augapfel auf seiner Zunge balancierte, bevor er ihn verschluckte, und wie die Baronin die Federn zerkaute, die einst das Haar des Mannes geschmückt hatten.
Wieder heulte sein Vater, und die Wölfe jagten zurück zu den brennenden Tipis. Der junge Wolf wollte ihnen gerade folgen, als er ein sonderbares Geräusch hörte, fast wie das Flüstern des Baches. Er hielt inne, stellte die Ohren auf, lauschte - es weckte dunkle Erinnerungen. Er wusste gar nicht, dass sein Gedächtnis so weit zurückreichte.
Das Geräusch kam von einem lächerlichen alten, gebeugten Mann, der auf einer Flöte spielte. Er stand in dem Kreis, in dem sich drei Menschen aneinanderkauerten. Obwohl er aussah wie ein Mensch, erkannte der Wölfling den Geruch sofort. Er war wütend. Dieses Wesen hatte den Grafen herausgefordert! Ein Wesen, das sich nicht einmal mehr verwandeln konnte!
Soll er doch starren! Ich werde ihn fixieren, ihn bannen, zu Stein werden lassen, schwor sich der Welpe. Ich werde ihn anstarren, bis er sich in eine Blutpfütze und einen Haufen Fleisch verwandelt hat. Das werde ich, das werde ich. Ich scheiße auf ihn, ich pisse in den Wind und auf sein Flötenspiel. Ich pisse, pisse, pisse.
Er löste seine Pfoten aus dem feuchten Boden, spannte seinen Körper, wollte springen. Der Alte beobachtete ihn, ohne
sein Spiel zu unterbrechen. Der junge Wolf kauerte sich nieder. Ihre Blicke trafen sich. Mein Blick ist kalt, dachte der junge Wolf. Er soll die letzte Dunkelheit in meinen Augen sehen, er soll die Hölle sehen. Der alte Mann wandte den Blick nicht ab, sondern spielte eine neue Melodie, tiefer, weicher. Und der Welpe hörte Stimmen in seinem Inneren: »Lass mich frei, lass mich frei!«
Nein! Nicht jetzt! Wut überschwemmte ihn, und er sprang auf, sprang nach dieser faltigen Kehle, sprang, um die Musik zum Schweigen zu bringen, aber -
Er landete auf steinigem Boden. Das Flötenspiel drang aus weiter Ferne zu ihm. Das Licht hatte ihm einen Streich gespielt. Ich muss die Augen schließen, sagte er sich, meinen menschlichen Sinnen abschwören, nur dem Laut und dem Geruch vertrauen. Er schloss die Augen, nahm die Witterung auf, ging dem Klang nach am Ufer des Baches.
Er spürte jetzt Feuer. Er konnte seinen Vater in der Sprache der Nacht rufen hören: »Komm zu mir, mein Sohn … komm hierher, das Blut ruft. Folge nicht dem Fremden …«
Aber das Lied der Flöte war stärker als das Lied des Blutes. Der ätzende Gestank brennenden Leders und verschmorenden Fleisches raubte ihm fast den Atem. Heiße Asche wirbelte um ihn herum. Er öffnete die Augen noch immer nicht. Er konnte mit seiner Nase, seinen Ohren gut genug sehen; er sah das Baby, an dem sich der indische Astrologe labte, während es immer noch nach seiner Mutter weinte, er spürte die Pfeile durch die Luft zischen, mit denen die Indianer vergeblich versuchten, ihre Feinde abzuwehren. Er jaulte auf, als ein Pfeil ihn in die Flanke traf, aber er lief weiter. Die Wunde schloss sich, und die Pfeilspitze wurde aus seinem Fleisch gedrückt. Der Pfeil bereitete ihm keine Schmerzen. Viel schmerzhafter war die Musik. Er folgte ihr. Der bittere Geruch des alten Mannes wurde weicher, süßer, erinnerte ihn an die Zeiten, bevor er seinen wahren Vater kennengelernt hatte - an die Zeit vor
Speranza - vor dem Irrenhaus in London, vor - bevor
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