Wolfsruf
auf Lakota, und Teddy meinte: »Der alte Mann war mit uns im Zug. Er kam, um den Leuten hier zu erzählen, was er gesehen hat, genau wie ich. Aber was er sagt, ist ganz anders als das, was ich gesehen hab. Er glaubt, dass was Gutes kommt. Und Ma sagt, er tanzt, um einen Geist zu rufen …«
»Wie ein Teufelsanbeter?«, fragte Scott.
»Nein. Er ruft ein Geist-Kind, das die Shungmanitu vereinen soll. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet, Mister.« Als Scott unter der Decke hervorlugte, sah er den Jungen, der unverwandt auf den Bach starrte, als wollte er den Anblick, den Geruch, die Geräusche aus dem Sioux-Lager aus seiner Wahrnehmung ausblenden.
Nach den ersten Klageschreien zeigte Zekes Frau keine Anzeichen von Trauer mehr. Wie konnte sie einfach dasitzen bleiben, während ihr Mann in kleinen Stücken vor ihr im Gras lag?
Vielleicht bemerkte sie seinen unausgesprochenen Vorwurf. Denn Little Elk Woman sagte: »Wir nicht mehr wichtig. Nur Geist-Kind wichtig.«
Geist-Kinder, übernatürliche Wölfe, Kreise aus blauem Feuer - nichts ergab Sinn. Aber Zekes verstümmelte Leiche lag außerhalb des Kreises, und kein Gesang oder Tanz, keine Philosophie konnte sie wegzaubern. Er wollte weinen, um seinen Schmerz zu lösen, aber er spürte nur immer stärkere Furcht, die nicht mehr weichen wollte.
13
In derselben Nacht
Der junge Wolf folgte seinem Vater durch den Bach. Es waren ein paar Menschen außerhalb des Dorfes, die im Territorium eines fremden Wolfes Schutz gefunden hatten. Er roch den Urin des Fremden. Er schien vertraut. Vielleicht war eine der anderen Personen diesem Wolf schon einmal begegnet. Aber diese anderen Personen waren jetzt nicht da - er hatte sie verbannt, er allein beherrschte den Körper, triumphierte über alle. Er rief seinem Vater in der Wolfssprache zu: »Wer wagt es, einen Bann gegen dich, den mächtigsten aller Wölfe, auszusprechen?«
Sein Vater antwortete nicht, sondern schnaubte und trabte schneller, sodass unter seinen Pfoten Erdbrocken hochflogen. Kopf und Schweif waren hoch erhoben. Die Sehnen zeichneten sich unter seinem Fell ab, und seine Augen glühten wie rote Kohlen. Als sie das Lager erreichten, wartete er, bis der junge Wolf ihn eingeholt hatte. Die anderen hatten ebenfalls aufgeschlossen. Sie heulten nicht mehr, sondern liefen in vollkommener Stille dahin. Nur das Knirschen von Pfoten auf trockenem Holz war zu hören.
Irgendwo hinter ihnen konnte der Welpe das Wiehern verängstigter Pferde hören, sie hatten die nahenden Jäger bereits gewittert. Der junge Wolf lief schneller. Der Boden war hier härter, von unzähligen Lagerfeuern festgebacken.
Eine Indianerin schaute aus einem Tipi-Eingang hervor. Die Wölfe versammelten sich. Sie brüllte sie an, versuchte, sie mit Armbewegungen zu verscheuchen, schrie um Hilfe. Hinter dem Königswolf standen die anderen aus dem Rudel - die Zigeunerin Azucena in nachtschwarzem Fell; der indische Astrologe als Wolf mit silbernem Fell und erhabener Haltung; Dr. Szymanowski mager und mit kahlen Stellen im Pelz; Pater Alexandros
mit seinem glatten, glänzenden Fell; die Baronin von Dittersdorf mit einem weißen Ring um ihren Hals, wie die Hermelinstolen, die sie so liebte. Sie warteten auf ein Zeichen. Die Pferde und die Waldtiere, die sie auf dem Weg hierher erlegt hatten, waren jetzt vergessen. Der junge Wolf wusste, dass diese Beute ganz anders war. Einen Menschen zu töten, das bedeutete, ein Bewusstsein auszulöschen. Das Aroma von Angst hing in der Luft, köstlich wie Parfüm und ebenso erotisch. Warum erbeutest du sie nicht, dachte er. Er unterdrückte seine Ungeduld, denn er wusste, dass er den festgelegten Rhythmus der Gewalt nicht ändern konnte. Er wartete. Alle warteten darauf, dass der Leitwolf sprang.
Der Vater des jungen Wolfes öffnete das Maul. Seine Zähne glänzten wie Perlen im Mondlicht. Ja, dachte der junge Wolf. Es ist so weit - der letzte Blickkontakt - die Augen der jungen Frau öffneten sich immer weiter, ein Schrei wollte aus ihrer Kehle aufsteigen, da sprang der Graf, mit weit aufgerissenem Rachen, umarmte die Frau mit seinen Pfoten, zerbiss ihre Wangen und riss ihren Hals auf, sodass die noch zitternde Luftröhre sichtbar wurde. Es kam kein Schrei, nur ein melancholisches Pfeifen aus der zerstörten Luftröhre. Die Frau sank zu Boden, und die Wölfe fielen über sie her.
Kläffend tauchte der Welpe unter den Läufen der anderen Wölfe durch. Und schmeckte süßes Blut. Atmete es ein, während es seine
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