Wolfsruf
Pelz des jungen Wolfes pulsierte; Flecken menschlicher Haut schimmerten durch. Die Augen wurden größer, die Schnauze schrumpfte ein, und Eiter und Blut flossen aus ihr. Er wusste, wer der Welpe war. »Johnny … bist du da drin, Johnny?«, fragte er leise. Der Mond war noch nicht untergegangen, aber er wusste, dass Johnny kein Werwolf war, nur der andere Junge, der aufgetaucht war, als sie auf dem Zugdach gespielt hatten. Er wusste, dass Johnny ihm nichts tun würde - falls es Johnny war, und nicht eines der anderen Wesen, die in seinem Körper lebten.
Das Gesicht war jetzt beinahe das von Johnny; nur die Ohren waren noch spitz, und das Haar auf seinen Wangen vibrierte, als es in die Haut zurückgesogen wurde. Weinend rief der Junge nach Speranza, Speranza.
Der Wolf, der auch der Graf von Bächl-Wölfling war, lief immer weiter im Kreis um sie herum. Ab und zu versuchte er einzudringen, zuckte dann aber wieder zurück und winselte vor Schmerz. Der Alte kümmerte sich nicht um ihn, sondern tanzte immer weiter. Er tanzte schon seit Mondaufgang, schätzte Teddy, aber er schwitzte kein bisschen. Die Musik, die er spielte, ergab keinen Sinn. Manchmal waren die Töne klagend und hoch; dann wieder tief wie die Laute, die eine
Frau von sich gab, wenn man sie an den richtigen Stellen berührte.
Der schwarze Wolf brüllte. Der Alte legte seine Flöte beiseite und sprach zu ihm. Es war ein Kauderwelsch, Menschenworte vermischt mit dem Winseln und Bellen eines Hundes. Teddy hatte keine Ahnung, was er sagte, aber der Wolf wurde immer wütender, bis er sich schließlich abwandte und mit gesenktem Schweif davontrottete.
Die anderen Wölfe rannten ihm nach, sprangen durch den Bach, schlugen mit ihren Pfoten dumpf auf die feste Erde, verschwanden wie eine Wolke aus Fell und Staub in der Dunkelheit.
Und Teddy sagte zu dem Jungen, der nackt und wie ein Neugeborenes mit Blut bedeckt neben ihm stand: »Speranza ist nicht hier, sie ist im Lager und wartet. Ich wollte die Leute im Dorf warnen, aber ich bin zu spät gekommen.«
Johnny sagte: »Sie wird lange warten müssen. Ich muss jetzt mit ihm gehen.« Er zeigte auf den alten Indianer.
Der Alte sagte: »Ishnazuyai.« So hieß er wahrscheinlich.
Der Junge schien von dem Geschehen vollkommen unberührt. Es war, als hätte er das alles nur geträumt. Die Blutflecken auf seiner Haut verschwanden von selbst, und seine Ohren nahmen wieder menschliche Form an. Der Junge stand einfach da, und das Haar auf seinem Rücken glänzte silbern im Mondlicht.
Ishnazuyai legte seine Flöte auf den Boden. Sobald sie die Erde berührte, verschwand der magische Kreis. Es begann leicht, kaum wahrnehmbar, zu regnen.
Der Alte hockte sich hin, und Johnny sprang ihm auf den Rücken. Der Regen glättete sein Körperhaar. Der alte Mann stand wieder auf. Johnny lächelte.
»Huckepack?«, fragte er.
Ohne jedes weitere Wort marschierte der Alte los, den Jungen auf seinen Schultern. Er marschierte Richtung Norden, auf
die heiligen Hügel zu. Johnny schaute kein einziges Mal zurück.
»Wohin geht ihr?«, schrie Teddy ihm nach.
Johnny antwortete ihm nicht. Aber Little Elk Woman sagte leise: »Das Land der Shungmanitu liegt versteckt in den Black Hills, wohin noch kein weißer Mann sich vorgewagt hat, nicht einmal auf der Suche nach dem gelben Metall.«
Der Regen wurde dichter und schwerer. Teddy sah, dass manche Tipis eingestürzt waren und schwelten. »Ist bald Dämmerung«, sagte er und versuchte, Scott aus seiner Starre zu locken. Aber der schlief tief und fest. Teddy wolle ihn nicht wecken. Er vermutete, dass er eine Menge durchgemacht hatte. Immerhin hatte er gesehen, wie sein Freund von einer Wölfin in Stücke gerissen wurde, und vielleicht würde er sich beim nächsten Vollmond selbst in einen Wolf verwandeln.
Schließlich erwachte seine Mutter aus ihrer Trance. Sie schaute ihren Sohn an. »Ich bin wieder da, Mutter«, sagte Teddy. Die Sprache seiner Kindheit kam leicht über seine Lippen.
»Ich mache dir etwas zu essen«, sagte Little Elk Woman. »Ich glaube, unser Tipi steht noch.« Aus dem Dorf hörten sie das Klagen der Frauen.
Er zog die Krempe seines Schlapphutes tiefer über seine Ohren, um sich vor dem Regen zu schützen. »Ja«, sagte er. »Ich glaube, ich bin hungrig.«
»Wir haben gestern einen Hund geschlachtet, vielleicht ist davon noch etwas übrig. Und wir müssen uns auch um unseren Gast kümmern; er sollte auf einem Büffelfell schlafen, nicht auf dieser unbequemen Decke.«
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