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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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dafür, dass sie im Winter nicht aus dem Lager gejagt wird, so wahr ich Teddy Grumiaux heiß’.«
    Und mitten in diesem Gefühlsaufruhr überkam ihn eine neue Erkenntnis - dass dieser Junge der Sohn von Claude-Achille Grumiaux, dem Eisenbahner, war. Leise sagte er: »Ich weiß, wo dein Vater ist, Teddy. Ich kann dich zu ihm bringen, wenn du möchtest.«

    Die Wölfin verwandelte sich bereits wieder, noch während sie den Leichnam seines Freundes zerfleischte. Die Schnauze bildete sich zurück, langes rotes Haar spross zwischen dem Fell hervor, Brüste wuchsen aus dem Pelz. Und sie sprach wieder, obwohl die Worte kaum zu verstehen waren: »Jetzt kenne ich endlich das Gegengift gegen Silber - die Leidenschaft eines Mannes. Wir brauchen einander von nun an … wir sind aneinandergebunden … durch deine Begierde und mein Gebrechen …«
    Natalias Gesicht war bleich im Mondlicht, viel zu bleich. Das Haar fiel ihr auf die Brüste. Sie bedeckte ihre Scham mit einer blutverschmierten Hand, die sich, als er einen kurzen Stich der Leidenschaft verspürte, sofort wieder in eine Klaue verwandelte. Er wandte sich ab. »Lass mich nicht hinschauen«, zischte er dem Jungen zu. »Halt mir die Augen zu.«
    Er fühlte eine kalte Hand auf seinem Gesicht. Als sie sich wieder zurückzog, war die Erscheinung verschwunden. Aber Zekes Überbleibsel lagen immer noch dort, und die Klageschreie der Frau verebbten nicht, ebenso wenig wie der wilde Tanz des Alten. Herr im Himmel, dachte er. Dort liegt sein Kopf, mitten im Unterholz.
    »Sie zittern wie Espenlaub«, sagte der Junge. »Und meine Ma und der alte Indianer sin’ auch nich’ ansprechbar.«
    »Er war mein Freund«, sagte Scott. »Ich habe mir nie vorstellen können, dass er sterben würde. Er kannte den Wald so gut wie jede Rothaut.« Und er erinnerte sich an den Leichnam von Eddie Bryant, der am Baum gelehnt hatte und dem das Gold aus den Taschen gequollen war.
    »Sie haben aus ihren Pfotenabdrücken getrunken«, meinte Teddy. »Schätze, das heißt, dass Sie sich auch verwandeln werden. Das hat die Russin gesagt.« Und er erklärte Scott, was er über die Werwölfe gehört hatte und dass der Graf Natalia wegen einer französischen Erzieherin verstoßen hatte, die immer Schwarz trug. »Sie will einen neuen Partner«, sagte er, »und
ich hab gehört, wenn einer aus dem Pfotenabdruck von’nem Werwolf trinkt, dann hört er bald selbst den Mond rufen.«
    »Ich habe nicht vor, zum Werwolf zu werden«, widersprach Scott. »Auf gar keinen Fall.«
    Sie hörten noch vereinzelte Schreie aus dem Lager. Scott spürte die Hitze, die die brennenden Tipis verströmten, und er roch versengtes Fleisch. Aber er schaute nicht hin. Er wollte Natalia nicht wiedersehen.
    Er fühlte, wie die Mondstrahlen auf seiner Haut prickelten, unter seiner Haut wie Nadelstiche juckten. »Gebt mir eine Decke«, bat er, »damit ich nicht mehr im Mondlicht bin.«
    Der Junge nahm seiner Mutter die Decke weg und warf sie über Scott. Der dicke Stoff dämpfte die Todesschreie, aber er spürte das Mondlicht immer noch.
    »Ich werde mich niemals verwandeln«, schwor er sich. »Morgen früh reite ich zurück ins Fort. Ich werde verhindern, dass ich jemals ins Mondlicht komme.«
    Aber er wusste, was ihn in Fort Cassandra erwartete. Er wusste, dass er Zeke nicht mehr mitbringen konnte. Er wusste, dass er Major Sandersons Groll würde ertragen müssen. Er konnte nicht zurück. Sanderson hatte ihm nie vergeben, dass er das Massaker damals nicht mitgemacht hatte.
    Aber als er sich vorstellte, nicht mehr zurückzukehren, erschien ihm die Zukunft noch düsterer und hoffnungsloser. Sein Vater war so stolz auf ihn gewesen, als er ihm den elfenbeinverzierten Colt überreicht und seinen Sohn losgeschickt hatte, um in eben jener Kavallerie zu dienen, gegen die er selbst im letzten Krieg gekämpft hatte. Scott glaubte nicht, dass es noch irgendeinen Grund gab, stolz auf ihn zu sein. Sein Freund war von einer Teufelskreatur ermordet worden, und er selbst spürte bereits das Gift in seinem Blut, obwohl er sich unter der Decke einer Squaw vor dem Mondlicht verbarg.
    »Es geschieht nicht über Nacht«, belehrte ihn Teddy Grumiaux. »Das kommt ganz langsam, hat mir mein Freund einmal
erzählt. Aber eines Tages wacht man auf und denkt wie sie, und dann wartet man nur noch auf den nächsten Vollmond …«
    Warum tanzte dieser verdammte alte Medizinmann immer noch?
    Als würde sie seine unausgesprochene Frage beantworten, sagte Zekes Frau etwas

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