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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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silberbesetzten Gerte übers Gesicht und kicherte, als Blutstropfen unter der Schminke hervorquollen. »Und jetzt zähle weiter.«
    Er wühlte wieder in ihren Schätzen. Ein paar Taschenuhren waren darunter, die in Cheyenne bestimmt einiges einbringen würden. Außerdem ein paar goldene Westenknöpfe. Noch ein wertloses Halsband, angeekelt schmiss Claggart es über seine Schulter.
    Er hörte es nicht aufschlagen.
    »Grausam, sie so zu quälen.« Eine ruhige Stimme.
    »Wer zum Teufel …« Er wirbelte herum. Konnte niemanden sehen. Der Nebel war zu dick.
    »Die Indianer nennen jemanden wie sie Winkte, dort wäre sie eine heilige Mann-Frau, niemand, der vor der Offenbarung seines Geheimnisses Angst zu haben bräuchte.«
    Verdammter Nebel! Er tastete nach der nächsten Waffe, dem Derringer in seinem Ärmel. Er zielte gerade, als ein Schuss ihm die Pistole aus seiner Hand schleuderte und seine Knöchel streifte. Er schrie vor Schmerz auf. Der Schuss verhallte.
    »Heb ihn auf, Cordwainer Claggart«, sagte die Stimme so leise, als würde der Sprecher direkt neben ihm stehen. »Ich werde dich töten wie einen Mann, nicht wie die Bestie, die du in Wirklichkeit bist.«
    Claggart überlegte. »Ich weiß nicht, aber deine Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor.« Neben dem Wolfskäfig streckte sich der Schatten eines Mannes auf einem Pferd über den Boden, Pferdeatem dampfte durch den Nebel.
    Claggart beugte sich nicht hinunter, um die Waffe aufzuheben. Das war sicherer. Dieser Typ gehörte anscheinend zu denjenigen, die ein Riesengetue um ihre Ehre machten. So ein Idiot. Claggart war nicht nervös, kein bisschen. Die Stimme war vertraut. Jetzt fiel es ihm wieder ein. »Klar. Ich glaube, ich kenne dich. Du bist bloß ein dreckiges Halbblut, dem ich früher mal das Pokern beigebracht habe. Du heißt … Graumiau,
so’n komischer französischer Name, sehr eindrucksvoll für einen halbindianischen Zeitungsburschen.«
    »Ich will mir etwas holen, Cordwainer Claggart.«
    »Und was denn?«
    »Dein Herz.«
    »Mann, du bist ja ein Poet. Ich werde verrückt.« Kein lausiges Halbblut wird Cordwainer Claggart reinlegen, dachte er. »Mein Herz! Wenn das nicht poetisch ist. Und was hast du mit meiner Pumpe vor, wenn ich fragen darf?«
    »Ich reiß’ es dir aus dem Leibe.«
    »Ha, ha …«
    »Wenn ich es finde.«
    »Ausgezeichnet! Wenn du es findest.«
    Grumiaux feuerte.
    Die Mann-Frau kreischte auf und kroch unter den Tisch. Claggart gab ihr einen Tritt, warf den Tisch um, duckte sich dahinter, angelte nach seiner Waffe. Kauerte nieder. Feuerte. Hörte die Kugel an den Käfigstangen abprallen, den Wolfsjungen winseln. Ein Loch im Samt … vielleicht würde das Mondlicht durchscheinen und die Verwandlung auslösen.
    Feuerte wieder. Und wieder. Keine Kugeln mehr. Er schmiss die Waffe fort und zerrte eine zweite aus seiner Westentasche. Juanita hatte sich hinter ein Wagenrad geduckt und kämmte sich unpassenderweise das Haar.
    »Vorsicht, wohin du schießt«, sagte Grumiaux. »Sonst bringst du am Ende noch den Wolfsjungen um.«
    »Kugeln machen ihm nichts aus.«
    Das Biest im Käfig wurde unruhig und rüttelte an den Stäben.
    Ein Schuss peitschte. Eine Kugel grub sich in Claggarts Schulter. Er ließ keinen Laut hören. Der Junge meinte es ernst.
    »Willst du Gold? Ich zeig’ dir, wo das Gold ist. So viel du tragen kannst. Und noch viel mehr! In unserem großartigen
Land gibt es jede Menge zu holen. Einfache Menschen … und dumm dazu.« Blut durchnässte seine Jacke. Er kommt nicht raus, dachte er, er lässt sich nicht durch Lügen fangen. Claggart begann zu schwitzen, trotz der Kälte. Der Wolfsjunge heulte, als würde er sich wieder verwandeln. Normalerweise heulte er nur so, wenn er Angst in der Luft schmeckte. Vielleicht ängstigte sich Juanita, aber …
    Ich habe Angst, erkannte er.
    »Ich bin nicht hinter deinem Geld her. Sondern hinter dir.«
    Grumiaux feuerte wieder. Die Kugel durchbohrte den Tisch. Das Pferd wieherte. Claggart hörte, wie das Halbblut abstieg. Und sah ihn aus dem Schatten hinter dem Käfig heraustreten.
    »Du bist gewachsen«, stellte Claggart fest.
    »Allerdings.«
    Er war groß. Schwarz gekleidet. Sein Haar war eine schwarze Mähne, die im Mondlicht bläulich schimmerte. Er stand unbeweglich da wie ein Albtraum, der nicht weichen wollte. »Du warst immer ein guter Kerl«, rief Claggart und zwang sich zu einem Kichern. »Ich hab immer geahnt, dass aus dir noch mal was werden würde. Mann, wirklich! Du bist

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