Wolfsruf

nervenzerreißende Geheul stieg aus seinem zerbrechlichen Körper.
    Jetzt setzte die Transformation ein. Die Zuschauer beugten sich vor. Sie murmelten erregt. Der Junge wiegte sich hin und her. Seine Augen funkelten.
    »Meine Damen und Herren - der Mond!«, rief Claggart und gab mit großer Geste Anweisung, das Samttuch mit einem Ruck ganz wegzuziehen. Da war der Junge. Nackt. Verängstigt. Wütend. Warf sich gegen die Gitterstäbe. Silberne Stäbe, dachte Teddy. Das hält ihn fest.
    »Ist ja gar kein Werwolf!«, beschwerte sich eine dröhnende Stimme aus der Zuschauerschaft. »Bloß ein haariges Kind!«
    Mit metallischem Scheppern löste Claggart den Riegel. Er berührte den Jungen mit der Spitze seiner Reitgerte an der Schulter. Der Junge winselte, zog sich zurück.
    »Hinaus, mein Sohn … hinaus ins Mondlicht … ins bleiche Mondlicht, das dich verbrennt und in eine Bestie verwandelt!«
    Mit rollenden Augen schlug Claggart jetzt auf die Gitterstäbe ein. Der Junge lief auf allen vieren hin und her. Die Zuschauer begannen zu lachen. Teddy sah den Zorn in den Augen des Jungen. Sie glitzerten, röteten sich - wie damals bei Scott.
    »Mahlzeit!«, lachte Claggart und packte den Jungen am Schopf, schleuderte ihn in den Staub der Arena.
     
    Schmutz auf seinem Gesicht. In seinen Nüstern. In seinem Maul. Harter, wurmiger Schmutz. Der junge Wolf erwachte. Augen. Er sah Augen. Lockende Augen. Da war der Meister mit der Silberrute. Er erhob sich, zuerst auf die Hinterläufe, dann auf die Vorderläufe, scharrte im Dreck, schleuderte seinem Meister einen Batzen ins Gesicht.

    Blut lag in der Luft. Blut, und das süßsäuerliche Aroma des Grauens. Das Mondlicht durchbohrte sein Fleisch, er spürte den Hunger, das Blut pulsierte. Er drehte sich im Kreis. Ein Toter lag auf einer Plattform. Noch warm. Warm. Er wandelte sich jetzt. Mondlicht zerrte an seinen Lenden, drückte das Fell unter der Menschenhaut hervor, schob Reißzähne aus den Menschenkiefern - Schmerz lag in der Liebkosung des Mondes, Schmerz und Freude - er drehte sich. Der Körper lag reglos. Die Därme bebten. Er hörte die Menge und den Wind seufzen.
    Er sprang -
     
    Die Menge hielt den Atem an. Dann schrie sie auf. Der Wolfsjunge zerfetzte jetzt den Leichnam. Eine Hand wirbelte durch die Luft, und Claggart fing sie auf und tanzte durch die Arena, führte ein gespenstisches Händeschütteln vor, während die Zuschauer vor Vergnügen jubelten. Der Wolfsjunge biss fest zu - das Brustbein knackte vernehmlich, dann war das Krachen der Knochen und das Gurgeln der Eingeweide zu hören. Applaus.
    Ein paar Leute verließen die Tribünen. Die ohnmächtige Hure, eben erst wiederbelebt, kotzte in den Gang.
    Teddy wollte nicht, dass Claggart ihn erkannte. Dazu war es zu früh. Aber er musste näher heran. Näher an das Tier. Die Menge grölte, lachte, als Claggart eine zweite, blutverschmierte Hand auffing und mit beiden Händen zu jonglieren begann. Der junge Wolf hatte die Eingeweide vollkommen aus der Bauchhöhle gezerrt, wie eine Wurstkette. Er schleifte den Leichnam durch die Arena. Näher an die Tribüne. Teddy stieg zum Zirkusrund hinunter, hockte sich in den Gang neben der ersten Reihe, als die Kreatur vorbeilief. Teddy schaute dem Wolf in die Augen und sagte leise: »Du kennst mich. Wir waren Freunde. Du und ich. Du kennst mich, Johnny Kindred.«
    Der Wolf heulte. Vor Schmerz? Er blieb stehen, Lefzen hochgezogen, Schweif aufgestellt, knurrend, geifernd. Ein Zuschauer piekste ihn mit der Silberspitze seines Gehstocks. Das
Fleisch verschmorte. Der Angreifer zog erschrocken seinen Stock zurück. Der Wolf heulte auf, als sich die Brandnarbe in sein Fleisch grub. Er war in die Eingeweide verstrickt wie ein Kätzchen in ein Wollknäuel.
    Teddy kniete neben ihm nieder und flüsterte: »Ich hol’ dich da raus. Das schwöre ich. Bei Gott, ich hol’ dich da raus.«
    Endlich schien der Wolf ihn wahrzunehmen. Er drehte sich ihm zu. Bannte ihn mit einem Blick, der vielleicht Hass, vielleicht etwas anderes war. Teddy blieb nicht länger. Er trat zurück, tastete sich zum Ausgang.
     
    Es gab noch einen Käfig, einen Käfig, der verschlossen blieb. Im Herzen des dunklen Waldes. Alle hockten darin. Johnny und der Indianer und Jake und Jonathan und James. Ein Silberkäfig, der von einem laublosen Baum herabhing. Alle waren sie darin, außer Jonas. Jonas hatte den Körper ganz für sich allein. Der Käfig war aus den verkokelten Überresten des Baumhauses aufgetaucht. Drinnen