Wolfsruf
Preston.
»Preston?«, fragte ich.
»Was?«
»Etwas wollte ich immer wissen.«
»Bestimmt nicht, wie lang mein Pimmel ist, oder? Warum machst du nicht einfach das Päckchen auf?«
Morgen war Vollmond, und wir würden alles tun, was Dr. La Loge von uns verlangte. Ich setzte mich aufs Bett und öffnete die Schachtel. Das Papier war kitschig - eine lächelnde Jackie Kennedy, abwechselnd im Profil und von vorn, vor der Silhouette des Weißen Hauses. Ich musste lachen. In der Schachtel lag eine Merwin-and-Hulburt-Pistole. Ein Kärtchen lag dabei, auf dem stand:
Eine Kugel noch.
Seit Generationen ist sie in meiner Familie.
Eine silberne Kugel.
»Du warst schon immer ein Werwolf, nicht wahr?«, fragte ich. »Ich habe schon lange den Verdacht, dass du damals in der Geisterstadt, als Johnny entkam und dich angriff … dass er dich damals konvertiert hat. Aber du hast es immer in dir getragen … und das bedeutet, dass Teddy Grumiaux …«
Er senkte den Blick. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte. Aber Teddy hatte sich um Scott gekümmert, und danach war er bis zu seinem Tod Johnnys Begleiter gewesen. Hatte er vielleicht einmal den Tau aus seinen Fußstapfen getrunken? War es möglich, dass Johnny das Kind infiziert hatte, das Nita und Teddy bekommen hatten?
Vielleicht erklärte das Prestons Fremdheit … und seine animalische Ausstrahlung. Aber er antwortete nicht, und ich sollte es nie erfahren.
Ich steckte die Waffe in meine Handtasche.
Vollmond. Wir ließen uns von einem Helikopter auf dem Plateau absetzen. Dr. La Loge meinte, wir könnten auch hinaufklettern, aber es gab keinen Grund, warum wir uns nicht moderner Technik bedienen sollten, wenn sie uns schon zur Verfügung stand. Preston war auch dabei.
J. K. stand in der Mitte eines Kreises, den man mit weißer Kreide gezogen hatte. Er war nackt … ein verschrumpelter, zusammengesunkener alter Mann. Überall hatte man ihm Elektroden angeheftet, die an eine Instrumentenkonsole angeschlossen waren, wo es wild blinkte und oszillierende Bildschirme flackerten. Es war wie in einem Frankenstein-Film.
»Glauben Sie wirklich, dass wir auf diese Weise Erfolg haben …«, sagte ich fast beleidigt zu La Loge.
Die Wolken rissen auf. Der Mond kam durch, und mit ihm begann eine geisterhafte Musik die Luft zu erfüllen.
Preston verwandelte sich als Erster. Er befreite sich aus seinen Kleidern. Dr. La Loge blieb der Mund offen stehen. Ich roch Prestons Erregung. Ich roch sie mit meinen geheimen Sinnen, mit den Wolfssinnen, die ich schon immer gehabt, aber nie zu identifizieren vermocht hatte -
Langsam, und anfangs durch die Kabelstränge behindert, begann Johnny zu tanzen.
Es machte nichts, dass sein Körper alt war. Es machte nichts,
dass Drähte an seinem Kopf, seinen Armen, sogar an seinen Hoden hingen. Es machte nichts, dass Dr. La Loge abwechselnd glotzte und Notizen in sein Büchlein kritzelte, als ginge ihn das alles gar nichts an. J. K. tanzte, und er war schön. Der Wind schwoll an, fegte über den Felsen, spielte mit unserem Haar. Er tanzte, und die Musik trieb im Wind, und sein Gesicht strahlte ein kühles blaues Licht aus, und er begann sich zu verwandeln -
Preston tanzte ebenfalls, sprang, heulte, drehte sich, jaulte -
Ich hörte den Ruf des Mondes. Das Mondlicht strich über die Härchen auf meinen Armen, sodass sie sich aufstellten, das Mondlicht drang in meine Poren und rüttelte schlummernde Bedürfnisse wach - und ich hörte eine leise Stimme in mir rufen: Lass mich raus, ich will geboren werden, lass mich raus, lass mich raus, und meine Füße bewegten sich im Rhythmus des Mondtanzes, fast wie von selbst, und -
»Speranza«, sagte Johnny Kindred. Die Stimme eines Kindes. Er rief mich über einen Abgrund der Zeit hinweg.
Und ich antwortete: »Ich bin Speranza. Speranza ist in mir.«
Dr. La Loge warf mir einen zustimmenden Blick zu, als wollte er sagen: »Gut so, reden Sie weiter so mit ihm, erhalten Sie seine Illusion aufrecht.« Aber ich sagte das nicht für die Psychologen und die Wissenschaftler. Ich sprach aus meinem Herzen. Und was ich dann sagte, passte La Loge bestimmt nicht:
»Ich bin Speranza, aber ich bin mehr als sie. Ich trage ihre Gene in mir, aber ich trage auch die Gene des Tieres. Ich weiß, was du durchgemacht hast … noch besser als Speranza … ich verstehe.«
J. K. tanzte, wirbelte seine Arme durch die Luft, und der Herbstwind fauchte und heulte und wirbelte uns Laub ins Gesicht. Er tanzte, bis die Elektroden
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