Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
sagtest, könnte sie überall sein. Sollte sie tatsächlich das nächste Opfer der Rabenspötterin geworden sein, hätte die Hexe ihr Verhaltensmuster ein weiteres Mal geändert.“
Also war es ihm auch aufgefallen. Es war wirklich mal eine nette Abwechslung, mit jemandem zusammenzuarbeiten, dem ich nicht jeden meiner Gedanken erklären musste. Cal nahm die Dinge manchmal so wortwörtlich, dass ich Lust bekam, den Kopf gegen die Wand zu schlagen.
„Nicht, dass sie es nicht könnte“, fuhr Ian fort. „Es wäre immerhin nicht das erste Mal. Ich frage mich nur, warum sie es tut.“
Angesichts der Tatsache, dass der Erste, den man im Fall Katrine verdächtigt hatte, Ian gewesen war, kam mir plötzlich ein zündender Gedanke: Wäre er nicht zufällig mit mir zusammen gewesen, hätte sogar ich überlegt, ob er hinter ihrem Verschwinden steckte. Gut möglich, dass die Rabenspötterin exakt darauf abzielte. Treib einen Keil zwischen die beiden. Sorg dafür, dass der Mann, der die Wahrheit kennt und sich dir in den Weg stellen will, im Gefängnis landet, während die ahnungslose Frau einsam und ohne Rückhalt sich selbst überlassen bleibt.
Aber wenn die Rabenspötterin wusste, dass wir ihr auf die Schliche gekommen waren, warum hatte sie uns nicht einfach die Herzen aus der Brust gerissen? Das wäre doch viel einfacher gewesen.
Mein Handy klingelte. Ich warf einen Blick auf das Display. Claire .
„Irgendwelche Neuigkeiten?“, fragte sie.
„Hast du schon gehört, dass es einen weiteren Todesfall gab?“
„Ja. Das Gleiche wie bei den anderen?“
„Ich nehme es an, allerdings habe ich bisher noch keine Bestätigung vom Doc.“
Sie seufzte. „Woran liegt es nur, dass ständig diese seltsamen Dinge geschehen, seit wir beide im Amt sind?“
„Ja, woran mag das liegen?“
„Denkst du, dass es schon früher derlei Vorkommnisse gab, nur waren unsere Väter geschickter darin, sie zu vertuschen?“
„Zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist, dass sich unsere alten Herren irgendeine logische Erklärung zusammenreimten und die paranormalen Aspekte schlichtweg ignorierten.“
„Ich bezweifle, dass Ignoranz ihnen wirklich weitergeholfen hätte. Irgendjemand hätte früher oder später eingreifen müssen.“
„Vielleicht war Edward letzten Sommer nicht zum ersten Mal in der Stadt.“
„Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.“ Claire machte eine Pause. „Sag mal, könntest du herkommen?“
„Ich bin ein bisschen zu beschäftigt mit der Gestaltwandler-Hexe und ihrer Schneise des Todes.“
„Es wird nur ein paar Minuten dauern; es gibt noch einige Details bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen während des Festivals, die wir besprechen müssen. Das Leben geht weiter, Grace. Sehr bald schon werden Hunderte Besucher nach Lake Bluff strömen.“
Wir mussten diese Situation bis dahin bereinigt haben. Das letztjährige Vollmond-Festival hatte die Stadt vor dem finanziellen Supergau bewahrt. Falls nun die Touristen ihrer Herzen beraubt würden, könnte uns das vollständig ruinieren.
„Wo bist du?“, fragte ich.
„Im Keller vom Rathaus.“
„Ich hasse es dort unten.“ Der Keller war unvorstellbar gruselig.
„Du Mädchen.“
„Ja, das funktioniert bei mir bekanntlich immer.“
Sie verstummte, als sie sich an die vielen Gelegenheiten erinnerte, zu denen mein Vater mir diese Beleidigung, die eigentlich gar kein Beleidigung hätte sein dürfen, an den Kopf geworfen hatte.
„Entschuldige.“
„Schon gut.“ Ich schaute zu Ian. „Allerdings müsste ich jemanden mitbringen.“ Ich würde ihn keine Sekunde aus den Augen lassen.
„Ihr beide hängt wie die Kletten aneinander, oder?“
„Kann man so sagen.“
„Gut. Ich mag ihn.“ Damit legte sie auf.
Ich fand es interessant, dass Claire Ian mochte. Sie hasste Männer nicht, aber sie war auch kein großer Fan von ihnen. Sie hatte in der Vergangenheit ein paar Probleme mit dem anderen Geschlecht gehabt, und erst Malachi war es gelungen, die Mauer zum Einsturz zu bringen, die sie zwischen sich und der Welt errichtet hatte. Vielleicht hatte auch die Geburt ihres Sohnes dazu beigetragen. Es war schwer, sämtliche männlichen Individuen zu verachten, wenn man ein solch bezauberndes Exemplar sein Eigen nannte.
„Ich sollte nach Hause gehen und die restlichen Papiere deiner Urgroßmutter übersetzen“, sagte Ian. „Wir müssen alles in Erfahrung bringen, was sie wusste.“
„Gut.“ Ich schnappte mir mein Handy. „Ich sage Claire, dass ich es nicht
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