Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
Selbstverständlich.“
„Aber nicht jetzt“, entfuhr es mir.
Adsila ließ ein warmes, perlendes Lachen hören. Warum konnte sie nicht gackern wie eine alte Henne? „Natürlich nicht. Ich laufe irgendwann diese Woche runter in die Stadt und suche Sie in Ihrer Praxis auf.“
„Einverstanden.“
Ian schnippte mit dem Finger in Richtung der Stöcke, die jetzt alle vier Ecken des Hauses markierten, um mich an den Grund unseres Kommens zu erinnern.
„Wissen Sie, wozu die da gut sind?“, erkundigte ich mich.
„Großmutter Quatie sagte, sie dienten zum Schutz. Wovor, weiß ich allerdings nicht.“
Ian und ich tauschten einen Blick.
„Stimmt was nicht, Sheriff? Gibt es etwas, worüber ich Bescheid wissen sollte?“
Ich zögerte, aber Ian schüttelte kaum merklich den Kopf. Quaties Ururenkelin von einer gestaltwandelnden Hexe zu erzählen, würde nur zur Folge haben, dass sie uns für verrückt erklären und uns nie wieder ein Wort glauben würde. Quatie hatte ihr Heim so gut geschützt, wie es in ihrer Macht stand, und zwar auf die gleiche Weise, wie wir es getan hätten, wäre sie uns nicht zuvorgekommen. Die beiden Frauen waren momentan sicherer als jeder andere in der Stadt, Ian und ich eingeschlossen.
„Könnten Sie Quatie bitten anzurufen … “ Ich hielt inne. Sie hatte kein Telefon. „Ich nehme nicht an, dass Sie ein Handy mitgebracht haben?“
„Sie hasst die Dinger. Darum nein.“
„Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir warten?“
Adsila öffnete den Mund, doch Ian war schneller. „Wir sollten zurückfahren“, widersprach er. „Ich muss die Dokumente deiner Urgroßmutter unbedingt fertig übersetzen.“
Es interessierte mich brennend, was Quatie wegen der Rabenspötterin unternahm, aber wir mussten Stöcke zuspitzen und Menschen beschützen.
„Könnten Sie sie vielleicht in die Stadt fahren?“
„Kein Auto.“ Adsila breitete die Hände aus. „Tut mir leid.“
Stimmt, sie hatte gesagt, dass sie in die Stadt laufen würde, um Ian in seiner Praxis aufzusuchen. „Wie sind Sie denn hergekommen?“, hakte ich nach.
„Mein Vater hat mich abgesetzt. Er musste weiter zu einer Konferenz in Atlanta. Auf dem Heimweg liest er mich wieder auf. Ich dachte, ich könnte entweder nach Lake Bluff laufen oder trampen, falls es unbedingt sein muss.“ Sie lächelte Ian an.
Ich konnte nicht fassen, dass ein junges Mädchen wie sie freiwillig Zeit bei einer alten Frau in den Bergen verbrachte, noch dazu ohne Handy, Strom oder Internetzugang – auch wenn ich in meiner Jugend das Gleiche getan hatte. Nicht, dass es damals viele Handys oder Internetzugänge gegeben hätte.
„Könnten Sie ihr ausrichten, dass ich am späten Nachmittag noch mal vorbeischaue?“, bat ich. „Und dafür sorgen, dass sie nicht wieder ausbüchst?“
„Ich werde mich bemühen“, versprach Adsila.
Ian und ich gingen zum Auto. Ich erreichte meine Seite zuerst und sah noch mal zurück, nur um festzustellen, dass Adsila Ians Hinterteil anstierte. Unsere Blicke trafen sich, sie zuckte grinsend die Schultern und verschwand im Haus.
Ian öffnete die Tür, bemerkte meine Blickrichtung und fragte: „Was ist los?“
„Abgesehen davon, dass sie dich angebaggert hat, kaum dass wir zwei Sekunden hier waren, hat sie gerade deinen Hintern angeschmachtet.“
Er guckte zu der Hütte, dann wieder zu mir. „Ich bin ein bisschen zu alt für sie.“
„Zehn Jahre? Das ist doch gar nichts.“
Als er sich auf das Dach des Pick-ups lehnte, dehnte sein Bizeps den Ärmel seines schwarzen T-Shirts, und ich schmachtete selbst ein bisschen. Er war so verdammt attraktiv.
„Ich interessiere mich für keine außer dir.“
Mein Blick huschte von seinen Muckis zu seinem Gesicht. Er meinte es ernst.
„Wenn das hier vorüber ist, falls wir beide dann noch aufrecht stehen, werden wir ein langes, ausführliches Gespräch über unsere Zukunft führen“, kündigte er an.
Damit stieg er in den Wagen, während seine Worte in meinem Kopf widerhallten und ich gegen meine aufkeimende Furcht ankämpfte. Weil er „falls“ gesagt hatte, was mich daran erinnerte, dass einer von uns – wahlweise wir beide – sterben könnte.
Ich fürchtete den Tod nicht, hatte das auch nicht getan, bevor die Wölfin, die meine Urgroßmutter sein könnte, in mein Leben getrottet war und meinen Glauben an ein Leben nach dem Tod gefestigt hatte. Doch Ians Worte brachten eine völlig neue Perspektive mit sich.
Ich hatte panische Angst, dass er sterben könnte.
33
Ich
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