Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
geschundenen Füße. Ich wünschte, ich könnte mich nackt ausziehen und wie gestern Abend ganz hineinsinken lassen.
An dem Bach fühlte ich mich meiner E-li-si am nächsten. Nah am Wasser, konnte ich sie beinahe sprechen hören. Im Schein des Mondes und der Sterne vermisste ich sie am wenigsten.
Die Sonne näherte sich schon dem Horizont. Bald würden die Schatten der Berge durch die Bäume fallen und alles mit der nahenden Kühle der Nacht überziehen. Die Abenddämmerung war meine liebste Tageszeit. Wenn ich sie nicht hier am Wasser verbrachte, beobachtete ich meist von meiner Veranda aus, wie die Nacht hereinbrach.
Ich sah auf die Uhr. Heute Abend sollte ich besser auf meiner Veranda sein. Ich sollte besser aus diesem Wald verschwinden, bevor die Sonne unterging und die wirklich gefährlichen Geschöpfe sich herumzutreiben begannen.
Wie dieser Wolf.
9
„Verflucht!“, flüsterte ich.
Das Tier legte den Kopf schräg und knurrte, als verstünde und missbilligte es das Wort.
Ich machte einen Schritt nach hinten; mein Fuß glitt auf einem glitschigen flachen Stein aus, und ich wäre fast gestürzt. Der Wolf ließ ein scharfes Jaulen hören, doch anstatt anzugreifen, starrte er mich, halb vom Gestrüpp verborgen, weiter an.
Ich konnte nicht wegrennen, mich nirgendwo verstecken. Meine einzige Waffe war die Silberpatrone. Die mir ohne eine Pistole nicht wirklich viel nützen würde. Ich konnte die Metallkugel einem Menschen zuwerfen, und wenn er sie fing und Rauch aus seiner Hand aufstieg, wäre er ein Gestaltwandler. Nur leider war der Wolf ein bisschen knapp an Fingern für diesen Test.
Ich hatte nicht damit gerechnet, vor Sonnenuntergang eine Waffe zu benötigen. Stirnrunzelnd guckte ich zum Himmel und zurück zu dem Wolf. Was zur Hölle war hier los?
Die Sonne schien noch hell, und obwohl ich von Monstern wusste, die bei Tag ihr Unwesen trieben, zählten Werwölfe nicht dazu.
Ich sah mir den Wolf genauer an. Schwarz, mit silbernen Strähnen im Fell. Lange, spindeldürre Beine. Tiefdunkle Augen, ohne jeden Funken von Weiß.
Nur ein Wolf.
Ich seufzte erleichtert, obwohl da noch immer der beunruhigende Aspekt war, dass ein wildes Tier meine Nähe suchte – was ein gesundes wildes Tier nicht tun würde – , beziehungsweise, dass es überhaupt hier war.
„Hübsches Hündchen“, gurrte ich.
Der Wolf schnaubte abfällig. Ich hätte schwören können, dass er mich verstand.
„Ich nehme nicht an, dass du vorhast, den Schwanz einzuziehen und vor dem großen, bösen Sheriff zu flüchten?“
Der Wolf blinzelte, rührte sich jedoch nicht vom Fleck.
„Das dachte ich mir schon.“
Ich sah mich unauffällig nach einer Waffe um. Jede Menge großer Steine, aber ich war nie eine begnadete Softballspielerin gewesen. Um das Vieh zu treffen, hätte ich ihm viel näher kommen müssen, als ich beabsichtigte.
Ich erspähte einen langen Ast – dick genug, um einigen Schaden anzurichten – , ging langsam in die Hocke und streckte die Hand aus, bis ich danach greifen konnte. Das Tier fletschte die Zähne.
„Ich werde dir nichts tun, wenn du mir nichts tust“, versprach ich.
Der Wolf griff an.
Trotz meines mangelnden Talents im Umgang mit Ball und Schläger holte ich aus und schlug zu. Der Ast glitt nicht nur widerstandslos durch den Wolf hindurch, auch ging der Wolf widerstandslos durch mich hindurch.
Ein paar Sekunden stand ich einfach nur mit offenem Mund und wegen der plötzlichen Kälte fröstelnd da; dann schoss ich herum. Das Tier saß mit hängender Zunge seelenruhig hinter mir.
Ich konnte durch seinen Körper weder das Gras noch den Bach hinter ihm sehen. Der Wolf schien aus Fleisch und Blut zu bestehen.
Ich piekte ihn mit dem Ast. Die Spitze wischte durch seinen Körper hindurch. Als das Tier die Pfote hob und nach dem Ast schlug, passierte das Gleiche.
„Was bist du?“, wisperte ich.
Der Wolf legte den Kopf schräg und richtete den Blick auf irgendetwas hinter mir.
„Den Trick kenne ich schon“, sagte ich. „Ich kehre dir den Rücken zu, und du stürzt dich auf mich.“ Oder vielleicht hätte ich eher sagen sollen: stürzt durch mich hindurch .
„Könnten wir vielleicht zuerst etwas trinken?“
Trotz meines Vorsatzes, es nicht zu tun, wirbelte ich herum. Ian Walker stand an den Ausläufern des Waldes.
„Ich sprach mit … “ Ich schaute zu dem Wolf, der sich, wie könnte es anders sein, in Luft aufgelöst hatte.
Ich machte mir nicht die Mühe, nach Spuren zu suchen. Das hatte ich
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