Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
hatte eine Ehefrau.“
„Und sie ist spurlos verschwunden?“
„Ja.“
„Also, bis du sie findest und dich scheiden lässt oder … “ Ich zögerte, denn es widerstrebte mir, die Alternative laut auszusprechen; Ian hatte damit kein Problem.
„Bis ihre Leiche auftaucht. Nur dass das bereits passiert ist, besser gesagt passiert wäre, wenn es noch eine Leiche gäbe.“
„Würdest du mir bitte erklären, was zum Teufel du damit meinst?“
„Sie war eine von ihnen.“
„Von wem?“
„Sie gehörte zu jenen, die wir bekämpfen.“
„Du behauptest, dass du mit einem bösen Geist verheiratet warst?“
„Sie war nicht böse, als ich sie heiratete; das kam später.“
„Ist das die paranormale Variante zu ‚Meine Frau ist eine Männer kastrierende Furie‘?“
Obwohl sein Mundwinkel zuckte, blieb seine Miene kummervoll. „Ich habe sie geliebt, Grace. Sie war eine sanftmütige, hübsche Frau, die allein für mich lebte.“ Ich legte meine Hand auf seinen Arm, doch er entzog sich mir. „Ich war der Grund, warum sie sterben musste. Wegen der Dinge, die ich tue. Ich habe sie nicht beschützt. Sie kamen, sie nahmen sie mit und sie … infizierten sie.“
„Wer sind sie?“
„Die Anada’ duntaski . Die Kannibalen.“
„Kannibalen kamen und nahmen deine Frau mit? Und sie infizierten sie womit? Kannibalitis? Was du da sagst, ergibt überhaupt keinen Sinn.“
„ Anada’ duntaski bedeutet wörtlich übersetzt ‚Kannibalen‘, doch in Wahrheit sind sie … “ Er brach ab und biss sich auf die Lippe, als wollte er plötzlich nicht mehr verraten.
„Du hast dich schon so weit vorgewagt“, ermutigte ich ihn. „Denkst du, ich würde dir nach allem, was ich in dieser Stadt gesehen habe, nicht glauben?“
Er ließ von seiner Lippe ab, und ein winziger Blutstropfen erblühte dort, wo seine Zähne die Haut geritzt hatten. Die Qual in seinem Gesicht war wie ein Stich in mein Herz. Er fasste nach meiner Hand, und sie kam ihm auf halbem Weg entgegen.
„Was sind die Anada’ duntaski ?“
Sein Blick verharrte auf mir. „Vampire.“
Mein Mund klappte auf und wieder zu. Ich sah weg und wieder zurück. „Cherokee-Vampire?“
„Jede Kultur pflegt ihre eigenen Vampir- und Werwolf-Mythen.“
„Es gibt einen Cherokee-Werwolf?“
„Gewissermaßen. Als ich noch ein Junge war, erzählten mir die alten Männer von einer Kriegslist. Der Fähigkeit bestimmter Krieger, ihre Gestalt zu verändern, sich in jedes Tier zu verwandeln, das über ihre Feinde triumphieren konnte. Viele wählten den Wolf, denn er war tapfer, loyal und unerbittlich.“
Ich nickte. Davon hatte ich schon gehört. „Und die Vampire?“
Er senkte den Blick, hielt jedoch weiter meine Hand. „Die Anada’ duntaski wurden auch ‚die Röster‘ genannt, denn man sagte ihnen nach, das Fleisch ihrer Feinde zu braten und zu verzehren.“
„Was sie zu Kannibalen macht, nicht zu Vampiren.“ Nicht dass das eine sympathischer gewesen wäre als das andere.
„Anfangs waren sie tatsächlich nichts weiter als das, Männer, die exakt das taten: Sie töteten den Feind und aßen ihn auf. Es waren die am meisten gefürchteten unter allen Kriegern, und das bereits, bevor sie entdeckten, dass sie, indem sie das Blut Lebender tranken, ihr eigenes Leben verlängern konnten. Unendlich.“
Na gut, das waren Vampire.
„Die Anada’ duntaski sind Tagwandler“, fuhr er fort. „Das Sonnenlicht kann ihnen nichts anhaben. Sie leben wie die Menschen, nur dass sie in den Nächten jagen müssen. Sie trinken das Blut Unschuldiger, und sie vermehren sich.“
„Wie bringt man sie zur Strecke?“
„Indem man ihnen den Kopf abschneidet.“
Er sagte das so ruhig, dass mich ein Frösteln überlief. „Du solltest dich unbedingt vergewissern, dass du die richtige Person vor dir hast, bevor du das versuchst.“
Ians Lächeln entbehrte jeglichen Humors. Wenn er auf diese Weise lächelte, sah er nicht länger aus wie ein Heiler, sondern wie ein Nighthawk Keetoowah , Geißel übernatürlicher Kreaturen.
„Was ist passiert?“, fragte ich.
„Es war das erste Mal, dass ich einem Anada’ duntaski nachspürte. Ich war jung, töricht, berauscht von meiner Macht, den Geheimnissen, die niemand kannte, außer mir. Ich hielt mich für unverwundbar. Ich spürte sie auf; ich tötete sie. Doch einer von ihnen entkam, und er machte meine Frau zu seinesgleichen.“
Was erklärte, warum Ian drauf beharrte, nicht mehr verheiratet zu sein. Untot war genauso gut wie eine
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