Wolfstage (German Edition)
»Ich glaube, die arbeiten
beide …«
Johanna nickte freundlich. »Wie schön – wir auch. Sagen Sie uns
einfach, wo wir sie finden.«
Fritz Wolter warf ihr einen konsternierten Blick zu. Dann schüttelte
er den Kopf. »Sie können im Besucherzimmer warten. Ich muss erst telefonieren.
Kommen Sie.«
»Aber gern.«
Wolter ging voran und führte sie im Verwaltungsgebäude in einen
kleinen schlichten Raum mit zwei Tischen. »Augenblick bitte.«
Eine Luftbildaufnahme vom Reitlingstal und ein großformatiger
Kalender schmückten zwei Wände. Auf den Tischen waren Zeitschriften gestapelt,
auf einem Beistellwagen unter dem Fenster standen Getränke.
»Wie beim Arzt«, meinte Colin und goss sich ein Glas Wasser ein,
bevor er den Rekorder anschloss.
Johanna sah zum Fenster hinaus. Sie drehte sich um, als Wolter die
Tür öffnete.
»Hildmann ist unterwegs hierher, Bischoff hat sich eben zur Mittagspause
abgemeldet. Den erreiche ich gerade nicht. Ich versuch’s gleich noch mal.«
Johanna zog eine Augenbraue hoch, nickte aber. »Danke.«
Henrik Hildmann kam wenige Minuten später. Er schloss die Tür hinter
sich und blickte irritiert von Sander zu Johanna und zurück, bevor er sich zu
ihnen an den Tisch setzte und die Arme über der Brust verschränkte.
»Mein Assistent Colin Sander«, stellte Kommissarin Krass Johnny Depp
vor, legte ihre Unterlagen bereit und betätigte die Aufnahmetaste am Rekorder.
Hildmann nickte. Er war hohlwangig und bleich wie am Tag zuvor und
sah aus, als hätte er seit Ewigkeiten nicht mehr richtig geschlafen. Ein junger
Mann am Ende seiner Kräfte.
»Wie geht es Ihnen heute?«
»Ziemlich beschissen.«
»Das kann ich gut verstehen.«
»Wirklich?«
»Ich habe täglich mit Menschen zu tun, deren Angehörige oder Freunde
bei einem Gewaltverbrechen ums Leben gekommen sind«, erwiderte Johanna.
»Gewaltverbrechen?« Henrik schluckte. »Das steht jetzt also endgültig
fest?«
»So gut wie.«
Er sah zur Seite. »Das ist grauenvoll. Meine Mutter wird das niemals
überwinden …«
Johanna wartete darauf, dass er weitersprechen würde, aber er
schwieg.
»Wir haben noch einige Fragen«, fuhr sie schließlich fort. »Und wir
müssen Ihr Alibi im Detail prüfen. Reine Routine.«
»Das sagten Sie bereits gestern.«
Er ist genervt, dachte Johanna, und es passt ihm ganz und gar nicht,
dass wir hier sind. »Herr Hildmann, worüber haben Sie sich am Samstag mit Milan
gestritten?«
Seine Augen weiteten sich. »Gestritten? Wir haben uns nicht
gestritten! Milan hat mal wieder gemosert und sich darüber lustig gemacht, dass
ich mich sogar am Wochenende mit dem Job beschäftige. Ich hatte auf der
Geburtstagsfeier Volker Seibert gefragt, ob er Lust hätte, mal als Gastdozent
einen Vortrag bei uns zu halten. Milan mischte sich in das Gespräch ein. Das
fand ich daneben.«
»Was genau macht Volker Seibert beruflich?«
»Er ist gerade zum Geschäftsführer in der Autostadt aufgestiegen und
versteht von Unternehmensführung und Wirtschaft natürlich eine ganze Menge«,
erläuterte Henrik. »War nur eine spontane Idee von mir. Warum reiten Sie da
eigentlich so drauf rum?«
»Alle möglichen und auch scheinbar nebensächlichen Aspekte sind
wichtig, weil Ihr Bruder unter ungeklärten Umständen sein Leben verloren hat
und –«
»Und wenn es ein Unglück war?«
Johanna lehnte sich zurück. »Sie meinen, er könnte durch den Wald
spaziert sein und jemand hat ihn zufälligerweise so verletzt, dass er
verblutete? Danach klaut jemand sein Auto, auch ganz zufällig? Was noch? Ach
ja, das Handy ist auch noch verschwunden …«
»Sein Handy dürfte im Auto sein«, erklärte Henrik eilig. »Der Akku
war leer – er hatte es zum Aufladen am Zigarettenanzünder angeschlossen.«
»Ach? Das wissen Sie genau?«
Henrik nickte. »Ja. Er hat geflucht, als wir aufbrachen, und es sofort
ans Kabel gehängt. Er wird es kaum eingesteckt haben, als er ausgestiegen ist,
weil der Akku in den paar Minuten Fahrzeit nicht genügend auflädt.«
Das war in der Tat eine einleuchtende Erklärung. Johanna musterte
Henrik grübelnd. »Na schön. Sie nehmen Ihren Job sehr ernst, nicht wahr?«
»Klar.«
»So klar ist das gar nicht.«
»Nehmen Sie Ihren Job nicht ernst?«
Johanna lächelte. »Doch. Was genau gefällt Ihnen hier so gut?«
»Ich weiß, wofür ich arbeite – ich meine: über mein Gehalt
hinaus. Das Team hält zusammen. Wir sind nicht nur einfache Kollegen. Jeder hat
seinen Platz und wird respektiert.«
»Ist
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