Wolfstage (German Edition)
nützen ihnen.«
»Warum fragst du ihn nicht einfach selbst?«
»So lange ich kaum mehr als diffuse Vermutungen habe, was den Tod
von Milan Hildmann in der Nähe der Tagungsstätte betrifft, wird er mich
auslachen, wenn ich ihm mit irgendwelchen Fragen komme, oder mir nicht mal
zuhören, was sein gutes Recht ist. Und sollten er und seine Jungs mit all
diesen Geschichten tatsächlich was zu tun haben, wird er auch noch gewarnt
sein.«
»Vielleicht schätzt du ihn völlig falsch ein.«
»Und vielleicht heirate ich morgen Richard Gere.«
Toni ließ ein Räuspern hören. »Nun gut. Ich finde darüber hinaus
bemerkenswert, wie viele Leute dort Aufgaben im Sicherheitsbereich wahrnehmen –
sieben, acht junge Männer und Peters als Chef. Das ist selbst bei dieser
weitläufigen Anlage üppig.«
»Unter Umständen hat er schlechte Erfahrungen gemacht«, überlegte
Johanna. Dann erinnerte sie sich an die Bemerkung von Eva Blum, dass ihr Freund
bei Veranstaltungen an verschiedenen Orten eingesetzt wurde.
»Wahrscheinlich nimmt Taschner unterwegs auch immer ein, zwei starke
Jungs mit. Und die meisten Leute, die Seminare bei ihm buchen und im
Tagungshotel einchecken, gehören sicherlich in die gut verdienende Kategorie
und wissen es zu schätzen, wenn das Gelände gut gesichert ist und ihren
schnuckeligen Wagen nichts passiert.«
»Nun gut. Kommen wir zur Seite mit den Freizeit-, Sport-und
Entspannungsmöglichkeiten.«
»Willst du mich –?«
»Keineswegs!«, unterbrach Toni sofort.
Johanna klickte auf die Kategorie mit der entsprechenden Bezeichnung.
Schwimmen, Reiten, Yoga, Kampfsport … Bogenschießen unter der Anleitung
von Rolf Mansloh. Johanna schluckte.
»Was sagst du nun?«, fragte Toni.
»Das ist ein entscheidender Hinweis. Du bist klasse. Danke dir.«
»Gerne. Falls ich hier noch irgendwas finde …«
»Meldest du dich umgehend: Tag und Nacht, klar.«
Johanna unterbrach die Verbindung und wandte sich zu Colin um. »Wir
fahren ins Reitlingstal und sprechen mit Henrik und Bischoff, vielleicht auch
mit Mansloh – aber da bin ich noch nicht ganz sicher. Vordergründig geht
es ausschließlich um Milans Tod.«
»Und hintergründig?«
»Will ich wissen, was da los ist. Doch so lange ich außer vagen Hinweisen,
seltsamen Zufällen, dumpfen Vermutungen oder gar schlichten Befürchtungen
nichts in der Hand habe, müssen wir vorsichtig und zurückhaltend sein. Wenn wir
den Pfeil finden, der Milan getötet hat, dürften wir ein ganzes Stück weiter
sein.«
Colin nickte. »Verstehe. Wir stellen ein paar Fragen und uns selbst
ein bisschen dämlich, sperren aber Augen und Ohren ziemlich weit auf. So in
etwa?« Er grinste.
Sie grinste zurück. »Ja, so könnte man es umschreiben.«
Johnny Depp fing an, ihr zu gefallen.
10
Die weitläufige Anlage inmitten des Elms war
beeindruckend. Sanfte Hügel mit Baumbestand umschlossen mehrere Gebäudekomplexe,
die sich perfekt in die naturbelassene Wiesenlandschaft einfügten. Im
Hintergrund war eine Pferdekoppel zu erkennen, und mehrere kleine Teiche
ergänzten das romantische Bild, das selbst die robusten, gut zwei Meter hohen
Zäune nicht stören konnten.
Johanna fuhr auf einer schmalen Straße langsam um das Gelände herum.
Außer zwei Parkbuchten im Norden und Süden gab es keine Möglichkeit, das Auto
abzustellen, und sie hielt schließlich direkt vor dem Eingang neben einem
Lautsprecher, aus dem eine männliche Stimme in bemerkenswert deutlichem Ton
nach ihrem Begehr fragte. Das Tor öffnete sich mit leisem Scheppern, als sie sich
vorgestellt hatte, und Johanna lenkte den Wagen auf einen überdachten Parkplatz
vor einem Verwaltungsgebäude.
Ein älterer Mann in Arbeitsklamotten kam ihr kurz darauf entgegen.
Sie schätzte ihn auf Anfang sechzig. Er war dürr und roch nach kalter Asche. Am
Revers seines schwarzen Overalls stand Fritz Wolter, Verwaltung und
Haustechnik. Früher hat man Hausmeister gesagt, dachte Johanna, aber warum
einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Sprechstundenhilfen hießen heutzutage ja
auch medizinische Fachangestellte, verdienten aber leider noch genauso schlecht.
»Sie sind von der Polizei?«, fragte er und warf Johannas Wagen einen
skeptischen Blick zu. Colin Sander musterte er verblüfft. »Kripo?«
»Ja. Wir untersuchen den Tod eines jungen Mannes. Sein Bruder Henrik
Hildmann ist Angestellter der Tagungsstätte. Wir möchten ihn und auch Gregor
Bischoff sprechen«, erwiderte Johanna knapp.
Der Verwalter kratzte sich am Hinterkopf.
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