Wolfstage (German Edition)
Johanna.
»Okay, okay.«
»Haben Sie mitbekommen, mit wem er telefoniert hat?«
»Nö. Er hat mir das Klo gezeigt, sich sofort in die Küche verzogen,
die Tür angelehnt und sehr leise gesprochen. Ich hab gedacht, dass ich so eine
Gelegenheit unbedingt nutzen sollte, und bin rüber ins Wohnzimmer geschlichen.
Dort hab ich so schnell wie möglich reihum Fotos mit meinem Handy gemacht. Mein
Fotohandy ist übrigens ausgezeichnet.«
»Wie bitte?«
Colin wagte ein verschmitztes Lächeln. »Wir können uns gleich am PC angucken, was bei Henrik auf dem Schreibtisch und in
den Regalen herumliegt. Das ist meistens ganz aufschlussreich.«
Johanna atmete tief durch, während sie auf die L290 abbog.
»Sie wissen schon, dass wir das offiziell gar nicht nutzen dürfen.«
Sander nickte. »Schon klar.« Der Triumph in seiner Stimme war
unüberhörbar.
»Hat er was gemerkt?«
»Nö. Als er die Küchentür öffnete, war ich schon längst im Klo und
hab die Spülung betätigt, und zwar nicht die Spartaste, wenn Sie verstehen, was
ich meine.« Er wagte ein Grinsen. »Wie geht es jetzt weiter, Frau Kommissarin?«
Johanna verkniff sich ein Lachen. »Sie überprüfen zusammen mit
Schuster die Alibis, wobei ich davon ausgehe, dass sie bestätigt werden. Ich
sehe mir die Fotos an und muss telefonieren. Außerdem bestellen wir Mansloh zur
Vernehmung hierher …«
»Den hätten wir doch auch eben befragen können.«
»Lassen wir ihn ruhig ein bisschen schmoren. Ich bin gespannt, ob
und wie Peters ihn brieft – er ist bei Weitem nicht so ausgebufft. Ach ja,
hab ich schon erzählt, dass man den Pfeil gefunden hat?«
Colin schnalzte mit der Zunge.
In der Buchhandlung war nicht viel los. Gertrud Kreisler
kam sofort auf sie zu. Johanna nahm ihr Handy heraus und rief die Fotos von
Bischoff auf. Unter gelungenen Porträtaufnahmen verstand man sicherlich etwas
anderes, aber das Charakteristische seines Gesichts und Oberkörpers hatte sie
gut eingefangen.
»Sehen Sie sich die bitte mal genau an«, bat Johanna die
Buchhändlerin. »Falls die Ansicht zu klein ist, könnten wir vielleicht Ihren PC benutzen …«
»Nicht nötig«, unterbrach Kreisler sie. »Das ist der Mann, der den
Laptop abgeholt hat.«
»Sind Sie hundertprozentig sicher?«
Gertrud Kreisler zögerte. »Nein, aber fünfundneunzigprozentig. Die
Kurzhaarfrisur und die breiten Schultern …« Sie nickte. »Das dürfte
hinkommen.«
Johanna hatte den Rekorder mit ins Geschäft genommen und betätigte
die Wiedergabetaste: »Und die Mädels in den Bars müssten sich eigentlich an uns
erinnern«, erklang Bischoffs Stimme.
Kreisler nickte sofort. »Ja, das ist seine Stimme.«
»Sicher?«
»Hundertprozentig.«
»Danke, Frau Kreisler.«
11
Johanna verzog sich mit zwei Stück Kaiserdom-Torte und
einer Kanne Kaffee ins kleine Büro, nachdem Colin die Fotos vom Handy auf einen
Stick überspielt hatte und mit Schuster wieder aufgebrochen war. Sie genoss die
Ruhe. Nur gedämpft drangen Telefonklingeln und Gesprächsfetzen an ihr Ohr. Die
Torte war ein Genuss. Das erste Stück hatte sie intus, noch bevor sie die Fotos
auf dem PC gespeichert hatte. Sie goss Kaffee
nach und beugte sich vor.
Henriks Wohnzimmer war alles andere als ordentlich – auch diesbezüglich
schien es keine Parallelen zu seinem Bruder zu geben. Der Raum wirkte klein und
vollgestopft. Colin war es gelungen, das Mobiliar so zu fotografieren, dass
Einzelheiten gut erkennbar waren, aber ob die Aufnahmen sie in ihren
Ermittlungen voranbringen würden, bezweifelte Johanna.
Unzählige Klamotten waren übers ganze Bett verteilt, Schreibzeug,
Bücher, Broschüren und Kleinkram bedeckten Schreibtisch und Regale, dazwischen
Gläser, Pizza-Pappschachteln, Getränkedosen. Sie zoomte Ausschnitte der Bilder
heran. Die Titel der Broschüren, die sich »Reitlingstaler Seminar-und
Vortragsreihe« nannten, wie sie entziffern konnte – Autor Markus Taschner –,
erregten ihre Aufmerksamkeit.
»Führungs-Kompetenz als Unternehmenskonzept« lautete einer. »Wie
Deutschland erstarken kann – Dominanz durch Klarheit statt Chaos durch
Vielfalt« ein zweiter. Sie stützte das Kinn in die Hand.
Wirtschaftstheoretischer Kram oder starker Tobak? Oder beides? Sie griff nach
ihrem Handy. Es wurde ohnehin Zeit für eine Unterredung mit der Staatsanwältin.
Annegret Kuhl meldete sich nach dem zweiten Klingeln.
»Ich bin davon überzeugt, dass alle Fäden in der Tagungsstätte zusammenlaufen«,
erklärte Johanna nach einer knappen
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