Wolfstage (German Edition)
Begrüßung. »Kollege Wiebor hatte sich als
Automechaniker eingeschleust. Warum genau, weiß im Moment noch niemand, soweit
ich das beurteilen kann. Und sein Unfall wurde zumindest provoziert. Ich drücke
es so vorsichtig aus, weil die Beweislage noch nicht hundertprozentig
überzeugend ist, Reinders würde sogar sagen: kaum existent. Doch im
Zusammenhang mit den anderen Fällen glaube ich einfach nicht daran, dass Wiebor
grundlos gestürzt ist, zumal es auffällige Beschädigungen an seinem Hinterrad
gibt.«
»Ich verstehe.«
»Das hatte ich gehofft. Der gestern tot aufgefundene Milan Hildmann
starb mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit durch eine Verletzung
mit einem Pfeil beziehungsweise einem Bolzen, der bei einer zweiten Suchaktion
ganz in der Nähe der Tagungsstätte gefunden wurde und bereits Dr. Pockly
vorliegt. Einzelheiten und das letzte Prozent Gewissheit bekomme ich in Kürze. Was
man jetzt schon sagen kann: Er weist eine beeindruckende Ähnlichkeit mit dem
Bolzen auf, der anonym in den Briefkasten der Buchhandlung von Gertrud Kreisler
eingeworfen wurde.«
»Gibt es irgendeinen Hinweis, wer der anonyme Überbringer gewesen
sein könnte?«
»Nein. Da können wir bislang nur spekulieren.«
»Schade.«
»Ja, aber es gibt noch andere Neuigkeiten«, berichtete Johanna
weiter. »Der Leiter der Security im Reitlingstal ist ein gewisser Richard
Peters – das ist der Freund von Eva Blum, die wiederum eng mit Kati
Lindner befreundet war, wie Sie sicherlich noch wissen.«
»Ich erinnere mich.« Das klang dezent amüsiert.
»Sein Werdegang ist nicht ganz sauber. Vor Jahren gab es mal eine
Anklage im Zusammenhang mit Waffenschmuggel, aber die Staatsanwaltschaft konnte
ihm nichts nachweisen. Er versucht mich sehr eifrig davon zu überzeugen, dass
Kati Lindner sich irgendwo ein paar nette Tage macht und wir unsere Energie
verschleudern, nach ihr zu suchen – nebenbei bemerkt: Peters und Lindner
waren wie Katz und Maus, auch nach Auskunft von Eva Blum. Ob das eine
weitreichendere Bedeutung hat oder für unsere Ermittlungen völlig bedeutungslos
ist, muss sich noch herausstellen. Und noch was: Es war ein Mitarbeiter von
Peters namens Gregor Bischoff, der unter Vorspiegelung falscher Tatsachen drei
Tage nach ihrem Verschwinden Katis Laptop aus der Buchhandlung abgeholt hat.
Ich bin sehr gespannt, wie der junge Mann bei der nächsten Vernehmung reagiert,
wenn ihm klar wird, dass wir darüber im Bilde sind, wo er doch annimmt, wir
kümmerten uns lediglich um Milans Tod. Ich denke, dass es nicht allzu weit
hergeholt ist, davon auszugehen, dass Kati wichtige Informationen besaß –
das ist zumindest mein dumpfer Verdacht.«
Johanna unterbrach kurz, damit Annegret Kuhl die Informationen
sortieren konnte.
»Fassen Sie Wohnungsdurchsuchungen ins Auge?«
»Noch nicht«, entgegnete Johanna. »Den Laptop hat Bischoff garantiert
nicht mehr. Das Risiko, mit einer solchen Aktion komplett ins Leere zu laufen,
ist mir zu groß. Ich brauche weitere Indizien.«
»Ich stimme Ihnen zu.«
»Was ist dieser Markus Taschner eigentlich für ein Typ?«, fuhr
Johanna fort. »Er unterrichtet Wirtschafts-und Rhetorikkram und verfügt über
Beteiligungen an zahlreichen Firmen in allen möglichen Branchen. Der Einfluss
auf seine Leute ist beachtlich, sie verehren ihn förmlich. Außerdem ist
Taschner Autor von Lehrmaterial, dessen Titel durchaus … na ja, sagen wir:
deftig klingen.«
»Darauf wollte ich ohnehin zu sprechen kommen: Der Verfassungsschutz
hat, wie ich gerade erfahren habe, vor einigen Monaten mal genauer hingeguckt«,
erklärte Kuhl.
»Ach? Und?«
»Taschner hat jede Menge Freunde, Unterstützer, Geschäftspartner,
Unternehmensbeteiligungen – ein richtiges Netzwerk, wie Sie selbst schon
in Erfahrung gebracht haben. Er ist ein sehr aktiver, ideenreicher und
intelligenter Mann mit großer Ausstrahlung, der auch über eine
Parteineugründung nachgedacht hat oder dies immer noch tut, aber
verfassungsrechtlich ist ihm nicht beizukommen, zumindest aktuell nicht.«
»Wonach riecht es denn bei ihm?«
»Taschner ist Wirtschaftsfachmann, der im Wesentlichen das Recht des
Stärkeren propagiert – zum Wohle aller natürlich«, erörterte die
Staatsanwältin. »Er ist rhetorisch hoch begabt und gibt einen überzeugenden
Populisten ab, der keinen Hehl daraus macht, rechtsaußen und konservativ zu
sein, wirkt aber dennoch dynamisch, modern, jung, begeisternd. So was wie ein
Haider. Taschner ist religionskritisch und
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