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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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heimatverbunden, und als offenen
Weltbürger, der sich für Integration starkmacht, würde er sich selbst kaum
bezeichnen.«
    »Verstehe. Seine Vorträge enden sicherlich nicht mit einem Gebet.«
    Kuhl räusperte sich. »Kann ich mir auch nicht vorstellen.
Gesellschaftliche Toleranz wird er sich nicht auf seine Fahne geschrieben
haben.«
    »Klingt nicht so«, stimmte Johanna zu. »Wiebor hat in Hamburg im
Bereich der organisierten Kriminalität ermittelt«, überlegte sie weiter. »Was
führt ihn zu Taschner?«
    »Eine sehr interessante Frage. Wenn ich die Antwort wüsste, würde
ich sie Ihnen sagen.«
    Davon war Johanna allenfalls zu neunzig Prozent überzeugt, aber sie
behielt den Gedanken für sich.
    »Eine Vernehmung kommt in Taschners Fall nur in Frage, wenn es hieb-und stichfeste Hinweise auf eine Straftat gibt«, meinte Kuhl. »Sie können davon
ausgehen, dass der Mann –«
    »Ist mir klar«, fiel Johanna ihr ins Wort. »Vielleicht ist er ja zu
einer harmlosen Unterhaltung bereit.«
    »Warum sollte er?«
    »Weil er neugierig ist und mich nicht sonderlich ernst nimmt. Männer
wie er nehmen mich grundsätzlich nicht ernst. Aber er will vielleicht dennoch
wissen, wie weit meine Kenntnisse gehen und was seine Leute angestellt haben.«
    »Nun …«
    »Nur, falls sich die Gelegenheit ergibt, Frau Staatsanwältin.«
    »Ich vertraue auf Ihr Feingefühl.«
    »Danke, das habe ich schon lange nicht mehr gehört.« Um genau zu
sein: Feingefühl trauten ihr die wenigsten zu.
    »Dann wird es ja höchste Zeit.«
    »Wenn die Hinweise sich weiter verdichten, brauche ich eine Observation.«
    Kuhl seufzte.
    »Zumindest sollte jemand ein Auge drauf haben, wenn die auffälligsten
Kandidaten die Tagungsstätte verlassen«, ließ Johanna nicht locker.
    »Darüber wird noch zu sprechen sein – ohne Gefahr im Verzug
lässt sich da auf die Schnelle nichts machen. Wir handeln uns sonst nur Ärger
ein, und zwar richtigen Ärger, nicht nur irgendeinen Anpfiff von oben.«
    Johanna war klar, dass sie im Augenblick nicht mehr herausholen
konnte, jedenfalls nicht offiziell. Sie verabschiedete sich und rief sofort
Schuster an, um ihn zu bitten, auf dem Rückweg aus Braunschweig Milans Laptop
mitzubringen.
    Zehn Minuten später meldete sich Dr. Pockly: Der gefundene
Pfeil hatte Milan definitiv getötet.
    »Weitere Spuren, die zum Vergleich taugen könnten?«, hakte Johanna
nach.
    »Nein, nichts, was ich noch verwerten könnte.«
    »Schade. Trotzdem: Danke für die schnelle Analyse.«
    Johanna legte die Aufnahmen beider Bolzen vor sich auf den Tisch.
Sie waren sich in der Tat verdammt ähnlich: Länge, Aufbau, Pfeilspitze, zwei
Federn. Auch die winzigen Einkerbungen an der Unterseite in der Mitte des
Pfeils schienen bei beiden identisch oder zumindest annähernd gleich. Sie
blickte erneut auf den Monitor und klickte sich durch die Fotos von Henriks
Zimmer. Wofür interessierte sich der junge Mann – abgesehen von seinem
Job?
    Johanna inspizierte sein Bücherregal genauer. Neben Fachliteratur
über Wirtschaft und Büroorganisation sowie Ordnern mit dem üblichen
Versicherungs-und Behördenkram konnte sie die Titel einiger Krimis und
Thriller entziffern, dazwischen ein Leitfaden zur Kommunikationslehre, zwei
regionale Wanderführer sowie ein Buch, das Grundlagen über das Schnitz-und
Gravurhandwerk vermittelte.
    Johanna sah sich noch einmal das Foto des Schreibtischs an: Stifte, CD s, überquellende Ablagekörbe, ein offenes Lederetui
mit Zirkel und Bleistiften, sehr feinen Bleistiften. Sie sah genauer hin und
zoomte den Ausschnitt heran. Das waren keine Bleistifte, sondern feinste
Schnitzmesser und Gravurwerkzeug.
    Johannas Puls beschleunigte sich. Sie griff zum Telefon und rief in
der Gerichtsmedizin an.
    »Pockly, ich brauche noch mal ganz schnell deine Hilfe.«
    »Mal wieder. Was gibt es?«
    »Die beiden Pfeile weisen Gravuren an der Unterseite auf. Kannst du
dir die mal genauer ansehen? Die Fotos, die ich hier habe, sind zwar ganz nett,
aber die Details werden bei der kleinen Zeichnung nicht deutlich.«
    »Ja, schon verstanden. Bleib dran.«
    Sie hörte, dass er schneller atmete, und vermutete, dass er mit dem
Telefon am Ohr in den Untersuchungsraum eilte.
    »So, ich hab die beiden Schmuckstücke vor mir liegen und inspiziere
sie mit einer Lupe«, erklärte er kurz darauf, immer noch etwas atemlos.
    Pockly müsste dringend etwas für seine Kondition tun, aber den Tipp
sparte Johanna sich lieber. Sie wusste, dass er darauf mindestens

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