Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
einmal bricht das Monster über uns herein. Wie die Kinderangst vorm schwarzen Mann. Nimm Altlander als Beispiel. Er hat an seinem Schreibtisch gesessen, in seinem Haus, seiner vertrauten Umgebung, in der er sich sicher fühlte. Und dann kam das Monster und hat ihn umgebracht. Nimm Elsa Michelangeli. Sie geht auf ihrem vertrauten Weg, hat Kerzen für den verlorenen Freund angezündet, und dann kommt das Monster und zermalmt sie beinahe.»
Guerrini hielt Laura so fest, dass sie nur ganz flach atmen konnte.
«Das Monster ist immer da», erwiderte sie leise. «Es hat nur verschiedene Gesichter. Manchmal auch gar keines … Meine Mutter ist an plötzlichem Herztod gestorben. Es gab kein Monster, keinen Täter, und trotzdem kam es mir vor, als habe jemand mit einem Messer zugestochen. Das Monster ist der Tod, Angelo, und unser aller Wissen, dass es keine wirkliche Sicherheit gibt.»
Er ließ sie so unerwartet los, dass sie beinahe umkippte, und verließ das Schlafzimmer. Gleich darauf hörte sie das Rauschen der Dusche. Laura legte sich auf den Rücken und schaute an die Decke.
Das Monster ist die unerwartete Ohrfeige, der Griff zwischen die Beine, der Autounfall, die Vergewaltigung, der Mord, der Tsunami, der Terroranschlag, der Krieg, dachte sie. Es ist alles, was Vertrauen und Leben zerstört.
Langsam rollte sie sich aus dem Bett und zog sich an. Weiße Leinenbluse, schwarze Jeans, brauner Gürtel und braune Mokassins. Dann versuchte sie vor dem großen alten Spiegel im Schlafzimmer ihr Haar so zu kämmen, dass die Naht möglichst gut verdeckt war.
Sie hörte, wie Angelo wieder ins Zimmer kam, drehte sich aber nicht um, nahm nur im Spiegel wahr, dass er heftig im Kleiderschrank herumwühlte.
«Ich habe, verdammt nochmal, was dagegen, wenn andere sich zu Vollstreckern machen und ihre Mitmenschen in Angst und Schrecken versetzen. Das konnte ich noch nie akzeptieren! Ganz egal, was mir die Psychologen auf der Polizeiakademie erzählt haben! Solche Leute will ich aus dem Verkehr ziehen, damit sie nicht noch mehr Schaden anrichten! Den Tod selbst kann ich nicht hinter Gitter stecken!»
Laura drehte sich noch immer nicht um.
«Und damit halten wir unsere eigene Angst in Schach, nicht wahr?», entgegnete sie.
«Vielleicht!» Er griff nach seiner Jacke. «Wir sehen uns später. Ich rufe dich auf dem telefonino an. Ciao .»
Zu nahe, dachte Laura, während sie die Stufen hinunterging. Wir sind uns zu nahegekommen.
Vor der Haustür standen zwei ältere Herren, die Laura anstarrten und keine Anstalten machten, den Weg freizugeben.
«Buon giorno!», sagte sie. «Permesso?»
«Sì sì, scusa signora.» Jetzt stolperten sie beinahe übereinander, weil der eine nach links, der andere nach rechts ausweichen wollte, beide aber noch immer Laura anstarrten.
«Il commissario …», stammelte der eine. Er trug einen hellen Strohhut, war sehr hager, und die Unterlider seiner Augen hingen ein wenig, was ihm einen traurigen Blick verlieh. «Der Commissario», wiederholte er, «ist er noch oben? Ich müsste ihn etwas fragen.»
«Welcher Commissario?», antwortete Laura eine Spur zu unfreundlich und bereute es schon auf halbem Weg zu Natalias Pension.
Guerrinis Cousine stand vor dem Haus und schnitt verwelkte Kletterrosen ab.
«Er ist nicht da, Commissaria! Falls Sie Ihren Vater suchen, er wollte ins Café Nannini an der Piazza Matteotti, weil man da draußen sitzen kann und er um elf mit seinem neuen Freund Fernando verabredet ist. Ich sage Ihnen, Commissaria, es geschehen noch Wunder auf dieser Welt.»
«Ich habe auf dieses Wunder gehofft, Natalia. Und ich würde mich freuen, wenn Sie Laura zu mir sagen würden und nicht Commissaria, und vielleicht könnten wir auch das Sie weglassen?»
«Durchaus möglich, Laura. Aber ich sage dir eines: Angelo ist widerlich! Wir haben noch nicht mal fünf Minuten miteinander gesprochen, seit du und dein Vater hier angekommen sind!» Sie wandte sich wieder den Kletterrosen zu, schnitt zwei, drei vergilbte Blüten ab.
«Ich will ihn nicht entschuldigen, aber er hatte wirklich viel zu tun … wir beide, um genau zu sein. Es ist ein sehr komplizierter Fall, Natalia. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so wenig um meinen Vater kümmern kann.»
«Ah!» Natalia schnitt wieder kräftig zu. «Um den musst du dich nicht sorgen. Er ist richtig aufgeblüht. Er liebt meine Küche, ist ständig irgendwo unterwegs, macht Ausflüge mit Fernando. Heute früh hat er zu mir gesagt, dass er
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