Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Enkelkinder.» Sie lachte, und Guerrini meinte, die Gläser in den Schränken leise klirren zu hören.
«Und warum ist dieser Engel Raffaele nicht mehr hier?»
«Was weiß ich, Commissario! Wahrscheinlich haben sie sich gestritten. Der Signor Enzo und Signor Giorgio streiten auch manchmal, wenn ich putze und aufräume. Na ja, jetzt nicht mehr! Und ich streite mit meinem Mann und meine Schwester mit ihrem und Sie wahrscheinlich mit Ihrer Frau, Commissario. Hab ich recht?»
Dio mio , dachte Guerrini und war sich nicht sicher, wie lange er dieser Flut von Allgemeinplätzen würde standhalten können.
«Natürlich haben Sie recht. Erzählen Sie mir noch ein bisschen von Signor Altlander. Wie war er so?»
Signora Piselli stützte beide Hände auf die Anrichte und runzelte die Stirn.
«Er war ein echter Herr – ich meine, das sehen Sie schon an den vielen Büchern und Bildern, Commissario. Obwohl – das Bild in der Eingangshalle, das hab ich nie gemocht, da wird es mir schlecht. Aber die von der Signora Elsa, die gefallen mir. Wissen Sie, Commissario – wenn ich hier war, dann hab ich hauptsächlich geputzt, aber ab und zu hat sich der selige Signor Altlander zu mir in die Küche gesetzt, oder er hat mich auf die Terrasse gerufen: Pisellina , Erbschen, setz dich her und hör auf zu putzen! Das hat er gerufen, der selige Signor Altlander, und dann haben wir zusammen einen caffè getrunken oder manchmal ein Glas Wein. Und dann musste ich ihm von meinen anderen Arbeitsstellen erzählen, und wir haben viel gelacht, denn man erlebt ja die unglaublichsten Geschichten als Putzfrau. Es ist überhaupt nicht langweilig. Und der selige Signor Altlander hat gesagt, dass er eines Tages ein Buch mit mir zusammen machen wollte, eines mit all den Geschichten, die ich ihm erzählt habe. Ja, er hatte ein Herz für die einfachen Leute, der selige Signor Altlander. Aber jetzt können wir das Buch nicht mehr machen, und das ist sehr traurig.»
«Ja, sehr traurig», wiederholte Guerrini. Ein Donnerschlag ließ das Haus erbeben, und sie zuckten alle beide zusammen.
«Madre mia!», murmelte Angela Piselli und bekreuzigte sich. Allmählich fand Guerrini Gefallen an ihrer Art. Nicht, dass er sie jeden Tag ertragen hätte, aber hin und wieder – wie Altlander es gemacht hatte, war es sicher ganz amüsant und vermutlich sogar lehrreich, ihr zuzuhören.
«Wenn Signor Altlander eine Einladung oder ein Fest gegeben hat, dann waren Sie doch sicher auch hier, oder?»
«Aber sicher, Commissario. Ich war immer da, wenn es ein Fest gab. Signor Enzo hätte das nie allein geschafft. Meistens hat der selige Signor Altlander nur ein oder zwei Leute eingeladen, manchmal aber auch zwanzig oder dreißig. Das war wunderbar: überall Kerzen und Blumen und herrliches Essen – ich meine, man kann von Signor Enzo denken, was man will. Aber kochen kann er.»
«Was könnte man denn von Signor Enzo denken?»
Sie warf Guerrini einen prüfenden Blick zu.
«Der war’s nicht, wenn Sie darauf hinauswollen, Commissario. Was hat er denn davon, wenn der selige Signor Altlander nicht mehr lebt. Der erbt bestimmt nichts, und sein schönes Häuschen kann er auch räumen. Hat doch gelebt wie die Made im Speck – dabei war er bloß Kellner, einer von uns. Der Raffaele war da anders, der hat gemalt und Gedichte geschrieben.»
Erstaunlich, dachte Guerrini. Da schaut sie auf einen Angehörigen ihrer eigenen Klasse herab, kaum anders als Elsa Michelangeli. Manchmal verstehe ich gar nichts.
«Und was haben Sie sonst so von ihm gedacht?», fragte er laut.
Sie wischte mit einem feuchten Tuch über den großen Holztisch und antwortete merkwürdigerweise nicht sofort.
«Ah, ich will nichts gegen ihn sagen», murmelte sie endlich. «Ich mochte ihn eben nicht so gern wie Raffaele. Er hat mich wie eine Putzfrau behandelt, der Signor Enzo – dabei war er nichts Besseres als ich. Doch der Signor Raffaele, der war immer höflich.» Sie atmete tief ein und machte ein unglückliches Gesicht. «Und da war was, das ich gesehen habe, und eigentlich wollte ich es immer dem seligen Signor Altlander sagen, aber ich hab mich nicht getraut.» Sie wischte den Tisch ein zweites Mal.
«Was haben Sie denn gesehen, Signora?»
«Er hat den seligen Signor Altlander betrogen! Ich bin ganz sicher. Einmal, bei einem Fest, da war der selige Signor Altlander mit den letzten Gästen oben im Arbeitszimmer. Ich hab die Küche aufgeräumt, es war ja schon spät. Wie ich den Müll rausbringen wollte,
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