Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
wenig, füllte sein Glas ebenfalls mit Wasser und trank einen kleinen Schluck.
«Weil er mein Autor ist, und das schon seit über dreißig Jahren. Autoren schütten ihren Verlegern häufig ihr Herz aus – es sind mitunter vertrauensvolle Freundschaften, wichtig für das Schaffen großer Werke. Man trinkt zusammen, diskutiert ganze Nächte hindurch, und daraus entstehen neue Ideen, andere Freundschaften, Projekte.» Er redete vor sich hin, als hielte er einen Vortrag, unterstrich seine Worte mit den Händen. «Giorgio wusste auch eine Menge von mir. Das gehört dazu. Solche Beziehungen können nicht einseitig bleiben.»
«Warum lebte er in Italien?», fragte sie, um wieder auf weniger intimes Terrain zu gelangen.
«Vier Monate im Jahr wohnte er in München. Allerdings reiste er dann viel, hielt Vorträge und Lesungen. Er konnte Deutschland nicht besonders leiden, er nannte es das Land der Gartenzwerge. Es war ihm zu grün, zu ordentlich und zu langweilig. Außerdem hasste er die rechte Szene …»
«Na ja, die italienischen Neofaschisten sind auch nicht ohne», erwiderte Laura.
«Aber nicht in der Toskana», lächelte Pasteur. «Die Toskana ist und bleibt rot. So gesehen war Giorgio vielleicht ein wenig naiv. Hat sich mit Wasteland seine Fluchtburg gebaut.»
«War er politisch engagiert – in irgendwelchen Gruppen oder Parteien?»
«Er hat sich seit zwanzig Jahren nur noch in seinen Büchern engagiert. Gruppen und Parteien traute er nicht mehr.»
«Und warum nicht?»
«Weil er ein unabhängiger Geist war, deshalb, Frau Kommissarin!»
Laura trank einen letzten Schluck Wasser und stand auf.
«Ich möchte Sie nicht länger aufhalten – nur noch eine Frage: Hat Altlander Sie für den August eingeladen?»
«Ja, er hat sich gefreut.»
«Danke, das wäre zunächst alles, Herr Pasteur – woher stammt eigentlich der französische Name?»
«Hugenottisch, Frau Kommissarin. Irgendeiner unserer Vorfahren war immer auf der Flucht. Welcher war’s bei Ihnen?»
«Ich weiß nicht, ich müsste erst Ahnenforschung betreiben.»
«Machen Sie das. Es lohnt sich!» Er deutete eine Verbeugung an und ließ seinen Blick blitzschnell über ihren Körper wandern.
Das musste jetzt wohl sein, dachte Laura und widerstand der Versuchung, ihm eine Grimasse zu schneiden.
Kurz vor Siena ließ Guerrini das Fenster seines Lancia herunter und genoss die weiche warme Luft nach dem Gewitter. Wilde Malven blühten am Straßenrand, und das Licht der tiefstehenden Sonne ließ die Regentropfen auf Halmen und Blättern funkeln. Er fuhr langsamer, betrachtete die Stadt auf dem Hügel und war froh darüber, dass er hier geboren worden war. Er liebte Siena, war stolz auf die Geschichte der Stadt – immerhin hatten seine Vorfahren es bereits im Mittelalter geschafft, eine Art Demokratie zu entwickeln. Nicht sehr lange zwar, aber immerhin ein paar Jahrzehnte lang, ehe Cosimo I. die Bürgerstadt unterwarf. Ah, diese Florentiner. Noch heute kamen sie sich besser vor als der Rest der Toskaner. Guerrini hatte es am eigenen Leib erfahren, als er fast zehn Jahre lang in Florenz Dienst tat. Heute war er richtig froh darüber, dass er in die Provinz zurückversetzt worden war, weil er ein paar korrupten Florentiner Gesellschaftsgrößen zu sehr auf den Pelz rückte. Tempi passati . Das war vorbei. Nur manchmal flammte in ihm noch das Bedürfnis nach Rache auf.
Jetzt zum Beispiel, da er sich die Belagerung Sienas durch die Florentiner vorstellte. Und weil er gleichzeitig wieder an Montelli denken musste, der gar kein Sieneser war, sondern Florentiner. Deshalb hatte er ihn vermutlich aus den Augen verloren. Montelli war nach der Schule wieder nach Florenz gegangen, während Guerrini in Rom studierte und dann zum Entsetzen seines Vaters auf die Polizeiakademie wechselte.
Je näher die Stadt kam, desto dichter wurde der Verkehr – natürlich, es war ja schon beinahe sechs. Aber eigentlich gab es rund um Siena immer zu viele Autos und Laster und Busse. Guerrini landete im Abendstau und war ausnahmsweise froh darüber, dass er sein Handy dabeihatte. Während er sich die Via Fontebranda hinaufquälte, rief er Professor Granelli, den Gerichtsmediziner an, der hoffentlich endlich den toten Altlander inspiziert hatte. Erstaunlicherweise funktionierte die Verbindung auf Anhieb, und der alte Arzt meldete sich persönlich.
«Granelli.»
«Sono Guerrini. Buona sera, professore.»
« Buona sera , commissario . Ihre Leiche ist eine verdammt harte Nuss, wenn
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