Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
vor.
«Es ist eine Kollegin aus Deutschland, aus München, Monaco di Baviera .» Angelo wurde ärgerlich. Wieso beichtete er eigentlich wie ein kleiner Junge? Wie brachte sein Vater es fertig, dass er sich so fühlte?
«Ah», sagte der alte Guerrini und starrte seinen Sohn an. «Wo hast du die denn her?»
«Wir haben zusammen an einem Fall gearbeitet.»
Fernando Guerrini verbrannte sich die Finger an seinem Kaffeetopf und fluchte laut. Endlich knallte er eine kleine Espressotasse vor seinen Sohn hin.
«Weiß Carlotta, dass du eine Freundin hast?»
«Vater, Carlotta hat sich von mir getrennt. Es ist ihr völlig egal, ob ich eine Freundin habe oder nicht!»
«So, meinst du! Deiner Mutter wäre es nicht egal gewesen, und wenn sie sich zehnmal von mir getrennt hätte.»
«Lassen wir das, ja?»
«Gut, lassen wir das.»
«Danke.»
«Wie sieht sie aus? Wahrscheinlich blond und einen Kopf größer als du!» Das Lachen des alten Guerrini klang eher wie Husten. Tonino hob den Kopf und starrte seinen Herrn aufmerksam an.
«Sie ist einen halben Kopf kleiner, hat dunkelbraune Locken und heißt Laura. Ihre Mutter war Florentinerin. Außerdem wirst du sie demnächst kennenlernen. Sie kommt übermorgen. Mit ihrem Vater.»
«Dio buono!» , stieß Angelos Vater aus und griff nach der Grappaflasche, die für Notfälle auf der Anrichte stand.
Es war weit nach Mitternacht, als Angelo sich endlich auf den Heimweg machte. Er schlenderte über den Campo, den er nachts besonders liebte. Zum Glück waren nicht mehr viele Menschen unterwegs – noch schienen die Massen nicht über Siena hereingebrochen zu sein. Die meisten Restaurants hatten bereits geschlossen, die meisten Fremden waren im Bett. Nur ein paar saßen, wie vergessene Skulpturen, mitten auf der Piazza, offensichtlich bemüht zu begreifen, dass all das um sie herum Wirklichkeit und nicht Traum war.
Die Wasser der Fonte Gaia plätscherten überlaut in der nächtlichen Stille, und Guerrini blieb kurz stehen, um sich zu versichern, dass er den Brunnen nicht mochte. Stets hatte er ihn als Fremdkörper auf diesem beinahe organisch gewachsenen Platz empfunden. Eckig war er, vergittert und zudem eine Kopie des Originals, das wahrscheinlich auch nicht besser gewesen war. Nein, Guerrini gehörte nicht zu denen, die jedes Kunstwerk vergangener Generationen in den Himmel hoben. Seiner Meinung nach hatten sie auch eine Menge Kitsch produziert.
Mit einem entschlossenen Tritt kickte er eine leere Coladose über den Campo. Es schepperte, und alle die noch herumsaßen oder -standen, drehten sich nach ihm um. Plötzlich sprang eine der Schattengestalten auf, lief hinter der Dose her und schoss sie zu Guerrini zurück. Ein Dritter kam dazu, dann ein Vierter, und endlich spielten sie ein gespenstisches Match, lautlos, abgesehen vom Scheppern der Dose. Irgendwann landete sie nach einem hohen Pass im Brunnen. Platsch machte es, alle Spieler brachen in Gelächter aus, trennten sich wortlos.
Langsam ging Guerrini weiter, wandte sich am Rand des Campo noch einmal um, spürte der Flüchtigkeit solch unverhofft glücklicher Momente nach. Endlich gähnte er laut und dachte unwillig an die vielen Stufen, die zu seiner Wohnung hinaufführten. Ehe er jedoch die Haustür aufschließen konnte, brummte sein Handy in der Hosentasche, fühlte sich an wie ein gefangener Riesenkäfer, der loszufliegen versucht.
«Pronto!»
Er hörte nichts oder vielleicht doch etwas, jemand atmete in ein Telefon.
«Pronto!», wiederholte er. «Commissario Guerrini! Chi parla?»
«Kann nicht … bitte …» Die Stimme war kaum zu hören. Eine weibliche Stimme?
«Brauchen Sie Hilfe?»
Leises Stöhnen und Wimmern, aber keine Antwort. Guerrini schaute auf das Display. Wer zum Teufel war das? Er konnte sich Nummern nicht besonders gut merken. So beschloss er, die Frage andersherum anzugehen: Wer hatte seine Handynummer? Alle in der Questura, sein Vater, Laura. Laura! Nein, es war nicht Lauras Nummer. Er atmete auf. Aber welche Frau kannte seine Handynummer? Neuer Versuch: Wem hatte er in letzter Zeit seine Handynummer gegeben? Und vor allem welcher Frau?
«Signora. Dov’è, signora?»
Die Verbindung stand noch, doch er bekam keine Antwort. Plötzlich wusste er, wem er seine Nummer gegeben hatte: Elsa Michelangeli. Er drehte sich um und rannte zur Questura zurück, stieß den Wachhabenden zur Seite, holte seine Dienstwaffe aus dem Schreibtisch, lief zum Wagen.
«Commissario! Brauchen Sie
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