Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Samstag mit Freunden beim Baden in Ostia, am Samstagabend in einer Bar an der Piazza Navona – ebenfalls mit Freunden –, ich habe einen Zeugen für die Nacht von Samstag auf Sonntag. Wir haben um elf auf meiner Dachterrasse gefrühstückt. Am Nachmittag habe ich gearbeitet, allein. Aber da war Giorgio schon tot, und ich brauche kein Alibi mehr – ist es nicht so?»
«Durchaus. Und nun kommt die nächste Frage, die Sie vermutlich erwarten, Signor Piovene: Haben Sie einen Verdacht, irgendeine Idee, wer Giorgio Altlander ermordet haben könnte?»
Der Dichter steckte drei Finger der rechten Hand in den offenen Kragen seines weißen Leinenhemds und massierte seine Halsmuskeln.
«Auch darüber habe ich lange nachgedacht, wie Sie sich denken können. Bei unserem letzten Telefongespräch – es ist ungefähr sechs Wochen her – erzählte mir Giorgio, dass er einer ziemlich schlimmen Geschichte auf der Spur sei. ‹Ich hoffe bald jemanden auffliegen zu lassen›, sagte er. Einen der Heuchler, wie er sie bezeichnete. Mehr wollte er nicht sagen. Aber es schien ihm Spaß zu machen, und er war geradezu wild darauf.»
«Und Sie haben keine Ahnung, um wen es sich handeln könnte?» Laura strich die Locken von ihrer Stirn zurück, und Piovene schien erst jetzt ihren Verband wahrzunehmen.
«Sie haben sich verletzt, Commissaria?»
«Es ist keine Attrappe, Signor Piovene», antwortete sie. «Der Heuchler ist nicht besonders begeistert davon, dass wir nicht an einen Selbstmord seines Opfers glauben. Er hat seit Altlanders Tod bereits vier Anschläge auf Menschen verübt, die dem Dichter nahestanden oder unbequeme Fragen stellten. Es wäre also gut, wenn Sie sich an jedes noch so winzige Detail Ihres letzten Gesprächs mit Altlander erinnern könnten.»
Der Himmel hatte sich inzwischen grellrot verfärbt, verlieh ihren Gesichtern ein unwirkliches Aussehen, als könnten sie riesige Fledermausflügel aufklappen und davonfliegen wie dunkle Engel, von denen Piovene zuvor gesprochen hatte. So jedenfalls kam es Laura vor, und sie fragte sich, ob es an diesem Haus lag oder an den Folgen des Schocks, den sie erlitten hatte.
Piovene leerte sein Glas in einem Zug. «Er sagte, dass da einer sei, der sich selbst verloren habe. Wie drückte er es aus … einer, der seine Leidenschaft begraben habe, ein lebendiger Toter, ein gefährlicher Betrüger, weil man nur ein Betrüger werden kann, wenn man sich selbst belügt. Ja, so hat er es ausgedrückt.»
«Aber er hat keinen Namen genannt?»
«Nein, keinen Namen. Und ich habe keine Ahnung, wen er gemeint haben könnte. Zudem sagte er, dass dieser Mensch erst seit kurzer Zeit wiederaufgetaucht sei. Ein Phantom aus der Vergangenheit.»
«Ein Phantom im schwarzen Geländewagen», murmelte Guerrini. «Hat Altlander jemals den Namen Montelli erwähnt, Paolo Montelli? Ich meine nicht nur bei Ihrem letzten Gespräch, sondern früher?»
«Nein, Commissario. Ich kann mich nicht daran erinnern. Falls es ein ehemaliger Geliebter war, dann hätte Giorgio seinen Namen niemals genannt. Er war sehr diskret. Wir Homosexuellen schützen uns gegenseitig vor der Brutalität der Gesellschaft.»
Piovenes Antwort verwirrte Guerrini. Niemals hatte er auch nur in Erwägung gezogen, dass Montelli ein ehemaliger Geliebter des deutschen Dichters sein könnte. Er war froh, dass Laura die lange Unterbrechung beendete und nach Elsa Michelangeli fragte.
«Natürlich kenne ich Elsa. Wir waren viel zusammen damals. Sie ist eine kluge und talentierte Frau. Ich nehme an, dass sie in gewisser Weise wichtiger für Giorgio war als ich. Leidenschaften erlöschen, Freundschaften sind beständiger.»
«Haben Sie jemals Ihren Nachfolger getroffen?»
«Nachfolger?» Piovene lachte auf. «Sie meinen diesen Leone. Nein, ich habe ihn nie getroffen und hatte auch kein Bedürfnis danach. Ich war nie wieder in Wasteland, seit ich Giorgio verlassen habe.»
«Hatten Sie Kontakt mit Elsa?»
«Hin und wieder.»
«Wann zum letzten Mal?»
«Jetzt wird es ein richtiges Verhör, nicht wahr?» Piovene lächelte. «Nach Giorgios Tod. Ich habe es von ihr erfahren, nicht aus den Zeitungen.»
«Hat Sie eine Vermutung geäußert, wer Altlander umgebracht haben könnte?»
Piovene seufzte. «Sie war völlig aufgelöst, das können Sie sich vorstellen. Und sie sprach von einer Verschwörung – was immer sie damit gemeint haben mochte. Ich erinnere mich an einen merkwürdigen Satz: ‹Manchmal reicht unsere Phantasie nicht aus, um die Dinge
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